Die Wiederentdeckung der Maultrommel Ribeba in Norditalien

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
Die Wiederentdeckung der Maultrommel Ribeba in Norditalien - Die Wiederentdeckung der Maultrommel Ribeba in Norditalien

Valsesia, das Tal des Flusses Sesia, ist für manche eines der schönsten Alpentäler – zusammen mit den naturbelassenen Seitentälern, die allein durch die Launen der Gebirgsbäche geprägt werden. In diesem Tal schlummerte viele Jahrzehnte lang die Geschichte eines seltenen Handwerks. Selbst die Bewohner*innen der Region hatten vergessen, dass ihre Provinz einst in einem Atemzug mit den Städten Molln (Österreich) und Birmingham (England) genannt werden konnte: in Valsesia gab es etwa vier Jahrhunderte lang Produktionsstätten für Maultrommeln. Dank der Forschungen des italienischen Historikers Alberto Lovatto wissen wir heute viel über die mit Blättern verzierten und in geschnitzten Schächtelchen aufbewahrten Ribeba.

 

Beide Bilder zeigen Maultrommeln aus Valsesia aus dem 19. Jahrhundert; private Sammlung, Foto: Matteo Zolt; zur Verfügung gestellt von Alessandro Zolt.

Die Mittelmeerinseln Sardinien und Sizilien galten bis in die 1970er Jahre als Heimat der italienischen Maultrommeln. Ihre Namen waren u.a. Trunfa, Mariolo, Scacciapenieri und Marranzanu. Die erste Studie zur nordwestitalienischen Ribeba veröffentlichte Alberto Lovatto 1983 und räumte damals schon eine weit verbreitete, falsche Annahme aus dem Weg: die Maultrommeln, die es im Norden Italiens gab, waren keineswegs aus Sizilien importiert. Schmiede der Region fertigten ab dem späten 15. Jahrhundert und bis ins 19. Jahrhundert elegante Instrumente an, die sich von den Massenanfertigungen aus Österreich und England abhoben.

Verbreitung der Ribeba über den Hafen in Genua

Wie die Maultrommelproduktion in den italienischen Alpen genau begann, darüber ist kaum etwas bekannt. Eindeutig belegen lässt sie sich jedoch durch eine erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahr 1524: verabredet wurde die Lieferung von „zwei Teilen Wald“ gegen „60 Duzend Rebebbe“. Alte Liefer- und Kaufverträge aus dem 19. Jahrhundert zeigen, dass Ribebas über den Hafen in Genua nach Spanien und Portugal, sowie nach „Amerika“ verschifft wurden.

Die Ribebas wurden natürlich nicht nur exportiert. In den italienischen Alpentälern spielte man mit der Maultrommel lokale Tänze und Lieder. Überliefert ist auch das Spiel mit zwei Maultrommeln gleichzeitig. Außerdem ist bekannt, dass die Maultrommel im Nordens Italien auch von Frauen gespielt wurde. Heute spielt die Ribeba in der Musik von Valsesia leider keine Rolle mehr.

Das Dorf Boccorio als Zentrum des Maultrommelschmiedens

Alberto Lovatto untersuchte die Produktionsgeschichte des kleinen, valsesischen Dorfs Boccorio (einem Ortsteil von Riva Valdobbia) mit etwa 100 Einwohner*innen. Im 18. Jahrhundert seien praktisch fast alle Menschen in Boccorio mit dem Bau von Maultrommeln beschäftigt gewesen. Die Blütezeit des Maultrommelschmiedens in Boccorio lässt auf Ende des 18. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts datieren. In der Zeit danach schließt eine Maultrommel-Werkstatt nach der nächsten.

Es haben sich einige der Instrumente erhalten, die in Valsesia im 18. und 19. Jahrhundert geschmiedet wurden. Anhand dieser Instrumente konnte Alberto Lovatto zusammen mit seinem Kollegen, dem Musikethnologen Alessandro Zolt, Schlussfolgerungen über die regionalen Merkmale der Ribebas ziehen. Bei genauer Betrachtung fällt die Dekoration und die Stempelmarke der Instrumente sogleich ins Auge. Einige Maultrommeln wurden mit zwei filigranen Blättern verziert, die im Innern des Metallrahmens neben der Zunge platziert wurden. Hinzu kommen Muster aus Punkten und Strichen, die das Äußere des Rahmens schmücken.

Die Stempelmarken der Ribeba

Auffällig ist, dass die valsesischen Schmiede ihre Instrumente durch eine Stempelgravur markiert haben. Jeder Schmied hatte sein eignes Signet, dazu zählten nicht nur Großbuchstaben wie A, L oder TU, sondern auch Symbole wie eine Sonne, ein Fisch oder eine Blume. Die Maultrommelzungen wurden handgeschmiedet.

Über die jährliche Anzahl der produzierten Instrumente lässt sich keine sichere Aussage treffen. In den Quellen kursieren verschiedene Angaben. Es werden Zahlen von einer halben Million Maultrommeln pro Jahr bis zu 1,5 Millionen Instrumenten genannt. Laut Lovatto und Zolt war die Maultrommelproduktion in Molln weit stärker als in Valsesia. Jedoch heben sich die norditalienischen Instrumente ab als handgefertigte Maultrommeln von guter Qualität.

In ihrer Studie beschreiben die Wissenschaftler Lovatto und Zolt auch, dass es einfach verarbeitete Instrumente gab und jene, die von besserer Qualität waren, d.h. es gab preiswerte und etwas teurere Instrumente aus Valsesia. Dass einige der Maultrommeln, die das Tal der Sesia verließen, besser waren als andere Instrumente, belegt auch der Streit um die Verwendung von Stempelmarken in Boccorio. Im Jahr 1790 musste per Dekret festgelegt werden, dass man nicht den Stempel eines anderen Maultrommelschmiedes verwenden durfte, um sich beim Verkauf einen Vorteil zu verschaffen.

Die Ribebas Norditaliens, die heute von Museen und Archiven beherbergt werden, waren Vorbild für die Maultrommeln-Reproduktionen des jungen Schmiedes Luca Boggio aus Strona (in Valdilana), einem Alpental, das etwa eine Autostunde von Valsesia entfernt liegt. Wie er zur Wiederbelebung der Ribeba beiträgt, darüber berichten wir auf unserem Blog in einem Interview mit ihm.

Weitere Details zur norditalienischen Maultrommel auf Englisch publizierte das Journal der International Jew´s Harp Society: Alberto Lovatto und Alessandro Zolt. 2022. Valsesia Ribeba and Trump in Italy, S. 72 ff sowie Alberto Lovatto. 2004. The Production of Trumps in Valsesia (Piedmont, Italy), S. 4 ff.

2019 erschien bei Libreria Musicale Italiana ein Buch über die Ribeba in Valsesia in italienischer Sprache („La ribeba in Valsesia. Nella storia europea dello scacciapensieri“, 212 Seiten), geschrieben von Alberto Lovatto und Alessandro Zolt.


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