Von der Kou Xian in Südwest-China zum Taschensynthesizer bei DAN MOI

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
Von der Kou Xian in Südwest-China zum Taschensynthesizer bei DAN MOI - Von der Kou Xian in Südwest-China zum Taschensynthesizer bei DAN MOI.

Es sind mehr als 15 Flugstunden, 20 Stunden per Auto und weitere 5 Stunden zu Fuß bis man aus Mitteleuropa in den Bergdörfern Südwestchinas angelangt. Oben in den über 2000 Meter hohen Bergen, wo die Reisterrassen von dichten Wolkenschwaden eingehüllt werden, findet man eine Musik, die organisch und elektronisch zugleich klingt. In Yunnan und Sichuan ist das Spielen auf der Maultrommel, Kou Xian, unter den Menschen der Yi-Bevölkerung weit verbreitet.

Bittet man einen Reisbauern, der auf den Bergpfaden zwischen den Feldern unterwegs ist, eine Melodie auf einer Kou Xian zu spielen, stellt man fest, dass er den kleinen Fächern des fragilen Instruments lebendige Melodien entlockt. Auf dem Marktplatz einer südwestchinesischen Stadt, führt das gleiche Experiment zu dem gleichen Erfolg: Menschen werden durch den Klang der Maultrommeln angelockt und spielen sie mit Leichtigkeit. Für viele Yi ist das Spielen der Maultrommel fast so selbstverständlich, wie das Sprechen.

Die Kou Xian wird von der chinesischen Minderheit Yi gespielt

Diese Episode aus dem Dokumentarfilm "Masters of the Yi Mouth Harp" des chinesischen Ethnologen Yi Wu und des amerikanischen Musikethnologen und Ostasienspezialisten Jonathan Richter verrät bereits viel über den Charakter der Maultrommel und den Stellenwert von Musik im Volk der Yi. Die Yi sind eine von 55 Minderheiten, die neben der mehrheitlichen Han-Bevölkerung in China leben. Mit knapp acht Millionen Menschen zählen sie zu den größten ethnischen Gruppen Chinas. Sie sprechen ihre eigene Sprache und repräsentieren durch ihre Kleidung und ihre Musik eine atemberaubende Kultur. Die meisten Yi leben in entlegenen, schwer zugänglichen Dörfern, die zum Teil zwar über Strom, aber nur über instabile Telefonverbindungen verfügen. Sie pflanzen Reis, Tabak und Getreide an, züchten Schweine, Hühner und Büffel. Viele dieser Menschen, vor allem die älteren Generationen, sind nie zur Schule gegangen.

Die Musik der Yi klingt nach den hohen Reisterrassen Südwestchinas

Im Alltag vieler Yi spielt Musik eine zentrale Rolle. Beim Bewirtschaften der Felder und auch in ihrer Freizeit singen die Menschen mehrstimmige Lieder, spielen auf der Maultrommel oder auf zusammengerollten Tabakblättern. Es gibt nicht nur eine beeindruckende Vokaltradition, auch in der Instrumentalmusik zeigt sich ein faszinierendes Panorama musikalischen Ausdrucks. Zum Instrumentenkanon gehören neben der Maultrommel und einigen einfachen, aus Naturmaterialien gebauten Blasinstrumenten, auch verschiedene Lauten, Mundorgeln und Flöten. Die Melodien der Yi könnte man als akustisches Abbild der Berglandschaft Südwest-Chinas mit ihren hohen Reisterrassen interpretieren: wie die Terrassenfelder, so erklimmen auch die Melodien die schroffen Höhen: zwischen tiefen und hohen Klängen wechselt abrupt das Tonregister, vom schrillen Ruf zum gedankenversunkenen Murmeln.

Die Musik der Yi ist unmittelbar mit der Landschaft verbunden, in der sie leben. Einige der Liedtexte handeln von der Arbeit in den Reisfeldern, schweifen in Gedanken hinunter in die Täler oder erinnern an den Fußmarsch ins nächste Dorf. Für alle, die sich einen Eindruck von der Instrumental- und Vokaltradition der Yi-Dörfer Südwest-Chinas verschaffen wollen, sei das BBC Feature "World Routes in China" empfohlen.

Mit der Kou Xian entdeckt man den schönsten aller Maultrommelklänge

Die Maultrommel ist nicht zuletzt wegen ihres fragilen Klanges das wohl persönlichste Instrument der Yi. Gespielt wird es von Männern und Frauen. Die Menschen drücken ihr Befinden mit den Instrumenten aus, ihre Sehnsucht, Heimweh, Trauer oder Freude. Auch Worte und Sprache lässt sich mit der Kou Xian verschlüsseln. So ist es möglich, dass zwei Personen mit ihren Instrumenten in einen Dialog miteinander treten. Es gibt die Kou Xian aus Bambus, populärer sind jedoch die Instrumente aus Metall. Aus einem daumengroßen, dünnen Stück Blech moduliert ein Instrumentenbauer mit Hämmerchen und Messern ein klangvolles Musikinstrument. Die Zunge wird aus dem Blech herausgeschnitten, ihre Kanten mit einer Feile geglättet. Durch das Abtragen von Metallschichten am oberen Ende der Maultrommel mit einem Messer, wird die Tonhöhe justiert. Hauchdünn ist der Abstand mit dem die bewegliche Metallzunge am Korpus des Instruments vorbeischwirrt. Die Yi befestigen mehrere dieser Instrumente am unteren Ende miteinander. So lassen sie sich auf- und zuziehen wie ein Fächer. Jede der einzelnen Maultrommeln ist auf einen anderen Grundton gestimmt und vereinfacht so das Spielen von Melodien. Durch die Kombination mehrerer Zungen entsteht das für die Kou Xian so typische Klangspektrum, das viele Maultrommelspieler für den schönsten Maultrommelklang überhaupt halten.

Die Kou Xian als Taschensynthesizer

Führt man dieses bearbeitete Stück Metall nun an die Lippen seines Mundes und zupft an den beweglichen Zungen, entstehen durch die Verformung der Mundhöhle, der Zunge und des Gaumens Klänge, die manchmal als kosmisch, überirdisch oder gar elektrisierend beschrieben werden. Das Ohr, das einen Synthesizer gehört hat, wird sich unweigerlich an die Frequenz- bzw. Grundtonmodulationen erinnern, die man an den analogen Instrumenten mit Knöpfchen und Reglern generieren kann. So ist die Analogie zwischen der Kou Xian und dem Synthesizer gar nicht so weit hergeholt und unter Maultrommelexperten schon öfter formuliert worden. Die Maultrommel ist in diesem Sinne ein organischer Synthesizer, klein und transportabel: ein Taschensynthesizer eben.


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