Wie Archive vergessenen Maultrommel-Traditionen wieder auf die Beine helfen können: Die Musikethnologin Deirdre Morgan

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
2015-01-16 00:00:00
Wie Archive vergessenen Maultrommel-Traditionen wieder auf die Beine helfen können: Die Musikethnologin Deirdre Morgan -

"Ich habe meine erste Maultrommel auf der Straße gefunden. Ich hob sie auf und musste erst mal im Internet nachschauen, was für ein kleines, seltsames Objekt ich da eigentlich in der Hand hielt. Ich fand heraus, dass es Maultrommeln auf Bali, in Vietnam, in Österreich und auf Sizilien gibt – das hat mich echt beeindruckt, so ein kleines Instrument, das auf der ganzen Welt zu finden ist, ein altes Instrument und eines, dem ganze Festivals gewidmet werden … von da an wusste ich, dass ich die Leute, die Maultrommel spielen, unbedingt treffen wollte."

Die Maultrommel hat die kanadische Musikethnnologin Deirdre Morgan vor knapp zehn Jahren in ihren Bann gezogen und lässt sie seither nicht mehr los. Als Deirdre die Maultrommel kennenlernte, begann sie im gleichen Moment auch die Gamelan Musik von Bali zu entdecken und mit einer Gamelan-Gruppe der Universität in Vancouver zu spielen. "Ich verliebte mich gleichzeitig in balinesische Musik und in die Maultrommel. Deshalb war es nur logisch, dass ich mich für die Genggong, die balinesische Maultrommel, interessierte." 2008 schrieb Deirdre Morgan dann ihre Masterarbeit über die Genggong an der Universität von British Columbia in Vancouver. Die Arbeit ist unter dem Titel "Organs and bodies: the Jew's harp and the anthropology of musical instruments" als Open Source-Dokument im Internet verfügbar.

Deirdre Morgan und Aksenty Beskrovny: Touchtone Duo

Mittlerweile forscht Deirdre nicht nur über Maultrommeln, sie steht auch selbst als Maultrommelspielerin auf der Bühne. Solistisch oder mit Aksenty Beskrovny als "Touchtone Duo". "Die Maultrommel klingt sehr organisch. Dieser Klang hat Tiefe, er kommt aus dem Innern des menschlichen Körpers. Im gleichen Moment kann die Maultrommel wie ein Roboter klingen, wie eine Maschine, ein Alien, etwas Außerirdisches, etwas, das nicht von dieser Welt ist. Die Maultrommel trägt also beide Elemente in sich: das Menschliche und das Übermenschliche." Diese klangliche Polarität der Maultrommel findet man auch in der gesellschaftlichen Funktion einiger Maultrommeln wieder: "Die Maultrommel ist mit Schamanismus und Spiritualität verbunden. Es gibt auch Traditionen, in denen die Maultrommel als Werkzeug dient, um Kontakt mit Menschen in diese oder auch in einer anderen Welt aufzunehmen. Der Arbeitstitel für meine Dissertation lautet: 'Speaking in Tongues', also das unverständliche Sprechen während des Gebets. 'Tongues' meint im Englischen aber auch Sprachen, es kann also auch das Reden in verschiedenen oder seltsamen Sprachen bedeuten. Für mich ist jeder Stil die Maultrommel zu spielen eine neue Variante, eine andere Sprache. Nicht zuletzt bedeutet 'tongue' auch Zunge im Englischen, so wird auch die Metallfeder der Maultrommel genannt."

In ihrer Dissertation geht Deirdre Morgan der Frage nach, warum Menschen Maultrommel spielen und was ihnen der Klang der Maultrommel bedeutet. Ihre Forschung ist dabei fest mit der Gegenwart verankert, sie schreibe nicht an einer Geschichte der Maultrommel, der Blick fällt lediglich auf Historisches, um gegenwärtige Entwicklungen in der Maultrommel-Community erklären zu können: "Beispielsweise interessiert mich, wie sich in Norwegen eine so starke Munnharpe-Community bilden und bereits seit Jahren halten konnte. Ich gehe also los und führe zahllose Gespräche mit Maultrommelspieler_innen und Schmied_innen, und natürlich mit den Schlüsselpersonen der Szene, die Festivals, Workshops und Konzerte organisieren." Feststellen könne man, dass der Antrieb für viele Leute in der Community ein ganz spezielles Wissen sei, das nur wenige Menschen besitzen, sie werden von der Überzeugung getragen eine Tradition aktiv zu bewahren. Deirdre Morgan kommt noch einmal auf Norwegen zurück: "die traditionellen Melodien dort laufen keineswegs Gefahr in Vergessenheit zu geraten. Es gibt unheimlich viele Leute, die sie kennen und spielen. In Österreich oder Sizilien lebt das Maultrommel Spielen gerade wieder auf, weil die Leute nach etwas suchen, das einzigartig ist, mit dem sie sich identifizieren können. Dabei nähern sich die Menschen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven einer Tradition an: es gibt die eher Konservativen, die sehr nahe an einem vermeintlich historisch überlieferten Verständnis festhalten und die experimentelleren Strömungen, die von dem Impuls angetrieben werden, das Instrument in zeitgenössische Kontexte zu integrieren."

Als Vorstandsmitglied der International Jew´s Harp Society (IJHS) reflektiert Deirdre Morgan den Kongress der IJHS 2011 in Jakutsk rückblickend als Meilenstein für die Maultrommelmusik. Seither habe es einen spürbaren Aufschwung in der internationalen Maultrommel-Szene gegeben, erzählt Deirdre. Binnen weniger Wochen entstanden neue Facebook-Gruppen und Twitter-Accounts, durch die sich alle Interessierten über aktuelle Ereignisse in der Community auf dem Laufenden halten konnten. Jakutsk sei für viele eine außerordentliche Erfahrung gewesen, die jüngere Generation der Maultrommel-Spielenden traf sich dort das erste Mal. Danach begannen sich die Leute zu vernetzen, kommunizierten über Online-Portale und tauschten Material und Informationen aus. Dadurch sei die Community wesentlich sichtbarer und präsenter geworden.

Die Maultrommel verbirgt noch viele Geschichten, die bisher unentdeckt oder nicht-erzählt worden sind – ob die Ankunft der Instrumente in der "Neuen Welt" mit den Schiffen der Auswandernden, die Musikpraxis indigener Gemeinden in Südamerika oder zeitgenössische Tendenzen in Indonesien. "Was ich mir wünsche", sagt Deirdre, "ist, dass Menschen häufiger in Museen und Archive gehen, um dort alte Tonaufnahmen der Kulturen zu entdecken, sie sich anzuhören und dann zu schauen, ob man diese Klänge selber produzieren und weiterentwickeln kann. Diese Quellen sind häufig so reichhaltig, dass sie weniger lebendigen oder gar vergessenen Traditionen wieder auf die Beine helfen können. In Norwegen und Estland war diese Herangehensweise bereits sehr erfolgreich." Alles in allem sei es wünschenswert, dass sich die Leute wieder mehr für ihre lokalen Traditionen interessierten.


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