Wie die Maultrommel in Großbritannien und Irland zur Ware wurde

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
Wie die Maultrommel in Großbritannien und Irland zur Ware wurde - Geschichte der Maultrommel in Europa. Wie die Maultrommel in Großbritannien und Irland zur Ware wurde.

„Die Schotten und die Iren integrierten die Maultrommel in ihre Musikkultur, die Engländer nicht.“ (106), schreibt Michael Wright in seinem 2015 erschienen Buch über die Maultrommel in Großbritannien und Irland. Obwohl die Engländer selbst nicht besonders häufig Maultrommel spielten, so war es doch England, das seit spätestens Mitte des 18. Jahrhunderts einer der größten Maultrommelproduzenten und -exporteure Europas wurde. In einem detailreichen Buch über die britische und die irische Jews-Harp trägt der Maultrommelfachmann Michael Wright wichtige Daten zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte dieser weit verbreiteten Instrumente bei. Auf welchen Handelswegen gelangte die Maultrommel nach England und wer kaufte sie? Warum wurde Birmingham zum Zentrum der Maultrommelfabrikation? Wer baute die Instrumente? Warum heißt die Maultrommel im Englischen Jews-Harp? Das Buch ist eine Empfehlung für Maultrommel-Liebhaber, -Einsteiger, aber auch für -Experten. Es liefert die Grundlagen zum Instrument, deckt zahlreiche Zusammenhänge mit der Geschichte der Maultrommel in Europa auf und lädt ein zum Stöbern in den unzähligen Referenzen aus Archiven zur Kultur des Instruments und seiner Darstellung in Kunst, Architektur und Presse.

Obwohl die Musik inhaltlich nicht im Vordergrund steht in Michael Wrights „The Jews-Harp in Britain und Ireland“, so ist es doch möglich sich zunächst ein Bild zu machen, von der Musik mit der britischen und irischen Maultrommel. Wrights Buch stellt dafür Aufnahmen auf einer Begleit-CD zur Verfügung, die alle von der Familie Wright stammen, jener Familie, die in den vergangenen über 50 Jahren die Maultrommel am nachdrücklichsten protegiert. Die Einspielungen sind aus den Jahren 2008 bis 2015. Auf einigen Aufnahmen ist auch der legendäre John Wright, Michaels Bruder, zu hören. Eindruck macht vor allem das letzte Stück auf der CD (Nr. 17): Banish Misfortune. Es ist das erste Stück, das John Wright seinen Brüdern 1968 beigebracht hat. Der dreistimmig gespielte Jig aus Irland entfaltet einen breiten Klangteppich und deckt das ganze Spektrum der Instrumente ab. Es ist ein Paradebeispiel für mehrstimmiges Maultrommelspiel.

Das Buch ist in drei Teile mit jeweils drei Kapiteln gegliedert. Alle Grundlagen zur Herkunft, zum Namen und zu bereits erschienener Literatur fasst Teil eins zusammen. Die Jews-Harp als Wirtschaftsgut mit Händlern, Maultrommelschmieden und Abnehmern in Übersee stellt der zweite Teil des Buches ausführlich dar. Teil drei ist eine Sammlung von zahlreichen Quellen und Referenzen zur Maultrommel in Kunst und Kultur verschiedener Epochen.

Teil 1: Basics

Wie entsteht ein Ton bei der Maultrommel, mit welchen Spieltechniken kann man den Klang beeinflussen, wie wir das Instrument in alten Lexika definiert und welche Literatur gibt es schon? Das erste Kapitel mit dem Titel „Theorists“ geht auf die Basics ein. Gleich zu Beginn wirft Wright eine Fragestellung auf, die aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert wird: handelt es sich bei der Maultrommel um ein „Zupf-Idiophone“, wie es die Musikwissenschaftler Hornbostel und Sachs in ihrer Klassifikation festlegten, oder ist die Maultrommel ein Aerophon wie der Maultrommel-Experte Frederick Crane vorschlug, weil die Töne durch Luftwirbel entstehen und nicht das Material der Maultrommel zum klingen gebracht wird.

Teil 2: Eine Handelsgeschichte der Maultrommel

Im zweiten Kapitel schließt sofort der nächste Diskurs an. Welchen Ursprung hat die Maultrommel? Da sich Expert_innen und Wissenschaftler_innen bisher auf keine gemeinsame Theorie einigen konnten, entschließt Michael Wright sich dazu, das zusammenzutragen, was durch archäologische Funde bewiesen werden kann. Er argumentiert über die Funktion der Instrumente in der Geschichte. Während Maultrommeln in Sibirien eine spirituelle Bedeutung hatten (und noch heute haben), belegt Wright, dass sie auf dem Gebiet des heutigen Großbritannien und Irland für relativ arme Leute erschwingliche Instrumente darstellten. Wright wertet die archäologischen Funde und Erkenntnisse umfassend aus. Er bezieht dabei vor allem die Forschungen von dem Archäologen Gjermund Kolltveit ein. Sie belegen, dass die Maultrommeln schon im 15. Jahrhundert ein Massenartikel waren. Diese Erkenntnis wird im zweiten Teil des Buches im Detail untersucht.

Ein für den englisch-sprachigen Raum wichtiger Diskurs wird im dritten Kapitel untersucht. Er dreht sich um die Herkunft und die Verwendung des Begriffs Jews-Harp. Wright durchforschte über 3000 Zeitungen, Zeitschriften, Handelsdokumente und Wörterbücher, um herauszufinden, in welchen Zeiten das Wort wie oft verwendet wurde. Mit Hilfe dieser Quellen zeichnet er die Geschichte des Wortes Jews-Harp nach. Er zeigt, dass verschiedene Termini in Umlauf waren, wie Gewgaw, juice harp oder Jewes harp. Wright stimmt zu, dass man die These in Betracht ziehen muss, eine Vielzahl dieser Worte könnte aus Missverständnissen herrühren, z.B. dass die Worte so aufgeschrieben wurden, wie man sie hörte. Dennoch könne man nur spekulieren – Wright schreibt, es habe viele Versuche gegeben, zu belegen, wie Jews-Harp zum allgemeinen Namen des Instruments wurde. Manche Argumentationen seien verworren und andere einfach lächerlich (40).

Eine sehr detailliert zusammengetragene Übersicht ist der Abschnitt „The Jewish Connection“. Sie erlaubt es dem Leser sich ein Bild davon zu machen, warum der Begriff Jews-Harp heutzutage kritisch betrachtetet, z.T. bereits vermieden wird. Da das Instrument keinerlei historische Verbindung zur jüdischen Kultur hat und der Begriff schon Ende des 19. Jahrhunderts in antisemitischen oder wenigstens abwertenden Zusammenhängen benutzt wurde, sprechen heute einige Maultrommelfans im englischsprachigen Raum immer häufiger von „mouth harp“ oder „jaw harp“. Wenn man wegen der Bekanntheit des Begriffs schon bei „Jews-Harp“ bleibe, dann, so plädiert Wright, solle man das Wort ohne Apostroph schreiben, also einen Eigennamen kreieren, der im Schriftbild nicht mehr die Assoziation „harp of the jews“ zulässt. Konsequent nutzt Wright in seinem Buch deshalb das Wort Jews-Harp ohne Apostroph und mit Bindestrich.

Maultrommeln als Ware, „Commercial Exploitation“, heißt der zweite Teil des Buches. Warum wurde die Maultrommel schon im 13. Jahrhundert populär? Michael Wright präsentiert Quellen, die belegen, dass schon sehr früh Maultrommeln in größerer Stückzahl aus den Niederlanden nach England importiert wurden. „Es gibt keine Belege dafür, dass die Maultrommel damals irgendeinen rituellen oder sozialen Status hatte und sie hatte auch keinen besonders großen finanziellen Wert, und dennoch ist sicher, dass sie seit dem 13. Jh. in beachtlichen Mengen von einem Land ins andere verschifft wurden.“ (S. 32) Folgt man den Untersuchungen von Michael Wright, steht dieser durch zahlreiche Dokumente belegte Warenfluss in Zusammenhang mit dem von Historikern als „Kommerzielle Revolution“ bezeichneten wirtschaftlichen Aufschwung im 12. und 13. Jahrhundert. Die Maultrommel wurde in England zum Importgegenstand. Ihr geringer Preis scheint ein Indiz dafür zu sein, dass sich auch ärmere Menschen dieses Musikinstrument leisten konnten. Offen bleiben muss die Frage, wo in Europa diese Maultrommeln hergestellt wurden, denn der Hinweis auf eine Stätte für die Produktion größerer Mengen vor dem 17. Jahrhundert fehlt bisher. Klar ist nur, dass viele Instrumente auf Schiffen aus den Nord- und Ostseehäfen nach England gelangen.

Die großen Maultrommelzentren Boccorio in Italien und Molln in Österreich können ihre Maultrommelschmiedegeschichte lediglich bis ins frühe 17. Jahrhundert zurückverfolgen (64). Und auch in Großbritannien begann man mit der Herstellung etwa um die gleiche Zeit. England hatte seine ersten, eigenen „trump-maker“ seit dem frühen 17. Jahrhundert. Im späten 17. Jahrhundert fertigten Familien in den West Midlands, also in der Region um Birmingham, Maultrommeln an. Michael Wright beschreibt in seinem Buch, wie Birmingham zu einem der größten Maultrommelproduzenten Europas wurde. Das kleine Instrument als Massenware: im Kapitel fünf über die Maultrommelschmiede in Großbritannien und Irland zeigt Wright, dass schon im 19. Jahrhundert Maultrommeln in verschiedenen Qualitäten hergestellt wurden, d.h. dass die Instrumente eine Preisspanne hatten. Es gab nach wie vor Maultrommeln für ein paar Pennys zu kaufen, inzwischen aber auch immer häufiger etwas teurere Instrumente (83). Einige Familien vererbten das Handwerk, wie Wright zeigt, über viele Generationen weiter. In Kapitel sechs wird beschrieben, wie ihre Maultrommeln in großen Mengen nach Nordamerika, Australien, Neuseeland und Südafrika verschifft wurden. Viele Instrumente verblieben auch in Schottland und Irland. Dort war die Jews-Harp bei vielen Leuten ein beliebtes Instrument (105).

Teil 3: Referenzen

Teil drei des Buches ist die Arbeit eines Sammlers. Michael Wright trägt in den Kapiteln sieben und acht Verweise auf historische und aktuelle Darstellungen der Maultrommel in Kunst, Architektur und Medien zusammen. Diese Kapitel sind zum Stöbern, Staunen und Entdecken. Die Leser_innen finden Karikaturen, Abbildungen von Gemälden und Gedichte. Eine kurzweiliges und unterhaltsame Lektüre, die Spaß macht und die verspielte, humoristische Seite der Maultrommel betont. Das letzte Kapitel ist britischen und irischen Maultrommelspielern gewidmet. Kurios die Erinnerungen an Maultrommelspieler, die als Diebe und Mörder zum Tode verurteilt wurden. Erinnerungswürdig die Geschichte von Geillis Duncan, die auf ihrer Maultrommel auch für den König gespielt hatte, bevor sie 1590 mit dem Vorwurf der „Hexerei“ hingerichtet wurde.

Wenn man all die Geschichten gelesen hat, dann wünscht man sich, einige historische Jews-Harp-Momente mit eigenen Ohren hören zu können. Soweit bekannt ist, stammt die älteste Aufnahme mit einer Maultrommel aus dem Jahr 1933 (176). Sie wurde im Lied „I took my harp to a Party“ gespielt. Weiterführend verweist Michael Wright am Schluss auf einige Einspielungen mit Maultrommeln. Auch eine Aufzählung von Liedern aus der Popularmusik, die die Jews-Harp verwenden, folgt. Der Abschnitt über die neue Generation an Maultrommelspieler_innen, die Präsenz der Maultrommel im Internet und der Ausblick in die Zukunft bleiben sehr fragmentarisch. (Kino, Radio und Fernsehen S. 173).

Von dem Buch gehen zahlreiche anregende Impulse aus. Am stärksten wirkt die Aufarbeitung der Maultrommel in Großbritannien und Irland als Ware und wirtschaftliches Gut. Wright zeigt anschaulich und mit umfangreichen Belegen, wie die Instrumente von einem Importartikel im 13. Jahrhundert zu einem Exportgut im England des 18. Jahrhunderts wurden. Leider lassen sich kaum genauere Aussagen treffen, zu welchen Gelegenheiten und von welchen Menschen genau die Jews-Harp im 13. Jahrhundert gespielt wurde. Hier fehlt es an Quellenmaterial. Wieder müssen wir davon ausgehen, dass die Maultrommel in jener Zeit einen niedrigen kulturellen Status zugewiesen bekam. Michael Wright zitiert den englischen Autor Samuel Pegge, der 1778 schrieb, bei dem Instrument handele es sich um nichts weiter als ein „Jungs-Spielzeug“, das weder mit der Stimme noch mit einem anderen Musikinstrument gut zusammen klang (14). Inhaltlich liegt der Fokus im Buch stärker auf Großbritannien als auf Irland. Das Buch setzt sich nicht auseinander mit der Musik selbst, also mit dem Repertoire für englische und irische Maultrommel. Erschienen ist es in englischer Sprache bei Ashgate. Als wissenschaftliche Veröffentlichung ist „The Jews-Harp in Britain und Ireland“ mit über 80 Euro leider um einiges teurer als der durchschnittliche Buchpreis.

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