„Fujara spielen ist wie Bogenschießen“: Interview mit dem Fujaristen Marco Trochelmann

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
„Fujara spielen ist wie Bogenschießen“: Interview mit dem Fujaristen Marco Trochelmann - Fujara spielen ist wie Bogenschießen: Interview mit dem Fujaristen Marco Trochelmann

Marco Trochelmann ist im richtigen Leben Gymnasiallehrer für die Fächer Musik und Deutsch. Er kommt vom Klavier und vom Schlagzeug, hat aber bereits während seiner Studienzeit die slowakische Bassflöte Fujara entdeckt. Das Instrument hat ihn so in den Bann gezogen, dass er es nicht wieder aus der Hand legen konnte. Inzwischen gibt es aus seiner Feder mehrere Fujara-CDs und Kompositionen für das Instrument. Marco Trochelmann gibt regelmäßig Fujara Workshops und er schreibt die umfangreiche Webseite tonfinder.de über dieses außergewöhnliche Instrument. In einem Gespräch mit Helen von DAN MOI erzählt er von seinen Erfahrungen als musikalischer Grenzgänger in der Slowakei und ordnet spieltechnische und klangliche Parameter der Fujara für uns ein. Er sagt, „ich lebe mit der Fujara seit über 20 Jahren und für mich hat das Instrument immer noch viel mit Freiheit zu tun, mit der Freiheit zu entdecken und zu forschen.

Wie bist Du zur Fujara gekommen?

Marco Trochelmann (MT): 1997 bin ich nach Berlin gegangen, um dort Musik und Germanistik auf Lehramt zu studieren. Mein Hauptinstrument war Klavier und die Nebeninstrumente waren Schlagzeug und Gesang. Ich hatte regelmäßig Unterricht bei Hochschulprofessoren und war oft mehrere Stunden am Tag mit üben beschäftig. Ich kam in eine Routine, die aus üben und arbeiten bestand. Dabei ging mir das Verspielte, das ich an Musik mochte, zeitweise verloren. Ich habe mich aber schon immer sehr für Weltmusik interessiert, für Musik anderer Kulturen und Instrumente, die ich vorher nie gesehen und gehört hatte. Damals habe ich auch Joachim-Ernst Berendt gelesen „Nada Brahma. Die Welt ist Klang“ und das hat mich sehr bewegt. Parallel zum universitären Klavier-, Schlagzeug- und Gesangsunterricht habe ich dann begonnen Shakuhachi, die japanische Zen-Flöte, zu spielen, außerdem Didgeridoo und Maultrommel. Ich habe in diesen Instrumenten eine Art Lebendigkeit wiedergefunden, die mir durch das verschulte Klavierstudium wie gesagt verloren zu gehen drohte. So lernte ich auch die Fujara kennen. Der Sound hat mich sofort begeistert und angerührt.

Begegnet bin ich der Fujara in einer Berliner Studentenbude. Ich wollte dort mit einem Mitstudenten Musik aufnehmen. Er aber hatte eine Fujara dort stehen, die ein deutscher Instrumentenbauer bei ihm untergestellt hatte. Ich hab dann den ganzen Abend nur mit diesem Instrument herumprobiert. Es gibt von dem Abend sogar noch Aufnahmen mit Fujara und präpariertem Flügel. Ich durfte das Instrument dann ausleihen, insgesamt hatte ich es ganze zehn Jahre, bevor es der Instrumentenbauer zurück haben wollte.

Aber gleich nachdem die rätselhafte, reich verzierte Flöte zu meiner neuen Mitbewohnerin geworden war, begann ich, mich über die Fujara Mittels des noch recht jungen Internets zu informieren. Dabei habe ich unter anderem gelernt, dass das Instrument Fújara gesprochen wird, mit einer leichten Betonung auf dem u und dem j wie im Wort „ja“. Ich habe dann während meinem Studium sehr intensiv mit der Fujara gearbeitet, das Instrument hat mich sehr inspiriert. Entstanden ist auch eine erste CD, mit der ich 2004 das erste Mal in die Slowakei fuhr, was ein gutes Gefühl war. Ich besuchte das Ursprungsland meines inzwischen Lieblingsinstrumentes mit einem Mitbringsel aus einer anderen Kultur – fremd und vertraut zugleich.

Was macht eine Fujara zu einem guten bzw. zu einem schlechten Instrument?

MT: Es ist wichtig, dass ein Instrument Charakter hat. Selbst, wenn die Instrumente heutzutage zum Teil auch maschinell hergestellt werden, haben gute Instrumente ihren eigenen Charakter. Man muss diesen Charakter verstehen und mögen. Vielleicht ist es eine Farbe im Sound, vielleicht hat es etwas damit zu tun, wie das Instrument in der Hand liegt, wie es sich anfühlt.

Es gibt Instrumentenbauer, die darauf achten, dass der Klang der Fujara obertonreich ist, also, dass sie sehr leicht durch Überblasen ins hohe Rauschen geführt werden kann, mit vielen differenziert anspielbaren Obertönen auf dem Weg dorthin.

Es gibt auch Hersteller, die sich zusätzlich intensiv um die Intonation kümmern. Man muss wissen, dass die Fujara ein Naturtoninstrument ist. Wenn man sie mit anderen Instrumenten zusammen hört, dann hört sich das schon mal ein bisschen verstimmt an. Die Naturtonstimmung der Fujara macht für viele den besonderen Reiz aus, wenn man sie, wie es traditionell der Fallist, als Soloinstrument spielt. Wenn sie jedoch z.B. zusammen mit Klavier erklingen soll, dann muss das Instrument der temperierten Stimmung angenähert werden. Es gibt inzwischen Instrumentenbauer, die eine sehr gute Intonation hinbekommen und einen fantastischen Sound erzielen.

Für einen guten Sound, sollten die Töne gut ineinander übergleiten können. Es gibt laute und leise Fujaras. Manche Instrumente haben in der unteren Oktave eine erstaunliche Lautstärke, andere sind eher zart und leise. Häufig gehen die Instrumente, die in der Tiefe schwach und instabil klingen, leichter in die Höhe, während sich Instrumente, die unten voll und laut klingen, oft schwerer in die Höhe zu bewegen sind. Auch die Größe spielt eine Rolle. Seit vielleicht 50 Jahren hat sich die auf den Grundton G gestimmte Fujara, die ca. 1,70 m lang ist, als Standard durchgesetzt. Es gibt aber auch kleinere und größere Fujaras. Welche man wählen sollte, ist eine Frage der eigenen Stimmung und dessen, wie man selbst schwingt, aber auch eine Frage, der Tonarten, in denen man spielen möchte, z.B. im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten.

Worauf muss man spieltechnisch achten, um die Fujara gut zu spielen?

MT: Man muss Zuhören. Das Instrument „sagt“ einem ja, ob es gut ist oder nicht. Man muss natürlich konzentriert und selbstkritisch üben und viel spielen und experimentieren, aber ganz wichtig ist, dass man bereit ist, sich auf das Instrument einzulassen und dann wird das Zuhören zum Lauschen.

Die Griffe haben ja unterschiedliche „Bedeutungen“. Der Luftdruck entscheidet ja dann, welcher Oberton anspricht. Im Laufe der Zeit ist mir klar geworden, dass das Fujara-Spielen wie Bogenschießen ist. Es ist ganz einfach einen Pfeil zu schießen, aber das zu treffen, was man treffen möchte, ist bedeutend schwieriger. So ist es mit der Fujara auch. Es geht schnell, dass man schöne Töne spielen kann, man benötigt ja keinen speziellen „Ansatz“ wie bei anderen Blasinstrumenten, aber dann den Ton herauszubringen, den man spielen möchte, das ist schwierig, je weiter der Ton in der Höhe weg ist, desto schwieriger. „Easy to play, hard to master“, das ist sehr bezeichnend für die Fujara.

Welches Repertoire spielst Du?

MT: Zunächst habe ich mich von der Fujara leiten lassen und formal alles, was ich kannte, in das Instrument einfließen lassen, also musikalische Motive, melodische Phrasen, Skalen, rhythmische Pattern, ganze Melodien und Formkonzepte. All das habe ich auf die Fujara übertragen und zunächst erst mal meine eigene Fujara-Musik geschaffen. Dabei sind viele verhältnismäßig kurze Kompositionen „Ton-Miniaturen“ entstanden, die auch immer noch Teil meines Soloprogramms sind. Ab 2004, nach meinem ersten Besuch in der Slowakei, habe ich dann damit begonnen, mich auch mit der traditionellen Fujara-Musik beschäftigt. Es ist ganz einfach so: Die traditionellen Melodien bringen das Beste des Instrumentes hervor. Wenn man andere Lieder nimmt, z.B. alte deutsche Volkslieder oder auch Melodien aus der Popmusik, dann merkt man sehr schnell, dass sie sich auf der Fujara nicht so selbstverständlich spielen lassen, wie auf einer normalen Blockflöte, weil bestimmte Tonfolgen baubedingt viel schwieriger zu spielen sind als andere. Hinzu kommen möglicherweise noch die ungewohnten „Verstimmungen“ der Naturstimmung. Jeder Ton auf der Fujara hat seine eigenen Besonderheiten, man muss jeden sehr genau kennen lernen und die traditionellen Melodien zeugen von dieser Kenntnis, denn sie sind optimal an die Eigenheiten der Fujara angepasst. Sie zeigen stets die besten Töne der Fujara im schönsten Licht.

Wodurch charakterisieren sich die klassischen Hirtenlieder?

MT: Die klassische slowakische Hirtenlied-Form beginnt mit einer Einblasfanfare (rozfuk), die häufig personalisiert ist. Die Kenner hören dann schon genau heraus, wer spielt. Dieses Fanfaren-Signal mündet nach tiefem „Gemurmel“ in die Melodie. Die Melodie wird nur angedeutet, sie wird fast jazz-artig umspielt. Zuhörer*innen, die mit den Liedern vertraut sind, können dann vielleicht schon hören, welches Lied jetzt kommt. Danach kommt der Gesang ohne Instrumentalbegleitung. In den Zwischenspielen erklingt dann wieder die Fujara und zum Schluss wird noch einmal die Melodie gespielt, die mit einem sogenannten prefuk (auch engl. „woosh“ genannt) beendet wird. Die Tonart ist in der Regel mixolydisch. Auf der diatonischen Flöte ist die Grundlage der meisten Melodien also eine Tonleiter, die auf dem Quintton des Grundtons der Fujara beginnt; z.B. Grundton G – Tonart der Melodie: D mixolydisch (D-Dur mit c statt mit cis).

Welche Erfahrungen hast Du auf den Fujara-Festivals in der Slowakei gemacht?

MT: In der Zeit der Festivals ist immer sehr viel passiert für mich in meiner kleinen Fujara-Welt. 2004, 2008 und 2013 waren diesbezüglich besonders wichtige Jahre für mich.

Ich habe ich z.B. Pavol Smutny, Winfried Skrobek, Winne Clement, Dusan Holik, Milan Koristek und noch viele andere mehr kennen gelernt. Fujaristen, Baumeister, Freunde - Menschen, mit denen ich in den Jahren zuvor via Internet kommuniziert hatte, die ich vielleicht auf Facebook oder Youtube getroffen hatte, materialisierten sich und es lag eine überraschende und ungewöhnliche Vertrautheit in der Luft. Austausch, Inspiration, Motivation - Aufbruchstimmung. Wir spielten Konzerte in Detva und Zvolen und traten auch auf der großen Bühne in Detva im Rahmen des Folklorefestivals 2008 auf.

Ich erhielt viel Zuspruch und Anerkennung für mein außergewöhnliches Fujara-Spiel, viele waren interessiert, aber es gab natürlich auch kritische Stimmen, denn von der traditionellen Fujara-Musik war ich damals einfach sehr weit entfernt.

Man muss sagen, dass zu den internationalen Festivals viele traditionelle Spieler bewusst nicht hingingen. Es gibt sehr verschiedene Ansichten unter den Fujaristen. Es gibt die Traditionalisten, die es nicht gut heißen, wenn im Ausland oder gar im eigenen Land anders als traditionell auf der Fujara gespielt wird. Es gibt aber auch viele, die es als Bereicherung erleben, dass andere Leute sich für ihre Musik, ihre Kultur und vor allem für die Fujara begeistern.

Dann starb Dusan Holik, der Erfinder und Hauptorganisator des internationalen Fujara-Festivals, überraschend 2017 an einem Herzinfarkt und es ist derzeit fraglich wann und ob überhaupt wieder ein internationales Fujara-Festival in der Slowakei stattfinden wird.

Welche Rolle hat die Fujara in der nationalen Kultur der Slowakei?

MT: Die Fujara ist wohl inzwischen in der ganzen Slowakei bekannt, aber gespielt wird sie vor allem in der Podpol’anie Region um Detva herum. Dort wird die Fujara-Tradition noch immer gelebt. Dass die Slowaken das Instrument inzwischen neu für sich entdeckt haben, hat aus meiner Sicht auch damit zu tun, dass die Fujara (und ihre traditionellen Melodien) 2005 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Das hat international für Aufsehen gesorgt und es gab dadurch eine Art Rückkopplungseffekt. Viele Hersteller haben gemerkt, dass die Fujara im Ausland Anerkennung fand und dadurch interessierten sich auch wieder junge Slowaken für das Instrument.

Die nationalen Kräfte haben sich dann die Fujara als Statussymbol zu Nutzen gemacht und somit ist sie inzwischen auch ein Symbol des Nationalstolzes der Slowaken. Es gibt nicht wenige Regionalpolitiker, die Fujara spielen, und das sind oft Leute, die politisch auch eher rechts der Mitte orientiert sind. Es wird ja überall auf der Welt versucht, Musik politisch zu instrumentalisieren, aber ich versuche, mich in meiner Arbeit mit der Fujara nicht beirren zu lassen.

Werden die Fujaras auch im Ensemble gespielt?

MT: In der Slowakei wird die Fujara meistens solistisch gespielt. Es gibt aber auch so etwas wie Duette und Trios. Dann spielt jemand eine Phrase und die anderen wiederholen sie, ähnlich einem Echo oder im Kanon. Eine entwickelte Ensemble-Spiel-Kultur gibt es meines Wissens (noch) nicht, wohingegen ich den Gedanken als ganz reizvoll empfinde, für vielleicht zukünftige Fujara-Ensemble zu komponieren.

Gibt es eine Szene für die Fujara auf internationaler Ebene und gab es in den vergangenen Jahren einen Aufschwung für das Instrument?

MT: Meines Wissen nach steigen die Verkaufszahlen von Fujaras weltweit. Genaue Statistiken gibt es aber nicht, jedenfalls kenne ich keine. Ich meine, die erste internationale Fujara-Welle gab es schon Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Damals war das Instrument in der Weltmusik-Szene der Schweiz recht gern gesehen. Gérard Widmer hat es schon recht früh zusammen mit dem Didjeridoo-Spieler Willi Grimm kombiniert und die Fujara spielt eine wichtige Rolle im Soundtrack des Films „Die Blechtrommel“ von Günter Grass.

Durch das Internet ist dann um die Jahrtausendwende und schließlich mit der Anerkennung zum Weltkulturerbe durch die UNESCO 2005 extrem viel passiert. Ich gehöre wohl zu einer Gruppe von Musikerinnen und Musikern, die auf dieser zweiten Welle mitgeschwommen ist.

Jetzt in diesem Moment ist schon etwas die Frage, wie es weitergehen wird, denn das Internationale Fujara-Festival wird wie gesagt vermutlich erstmal nicht wieder stattfinden. Es gibt einige Leute in der Welt, die ambitioniert Fujara spielen. Aber man muss feststellen, dass man nur mit Fujara, jedenfalls in Deutschland, kein Geld verdienen kann; nicht als Fujarist allein, weil das Instrument kaum jemand kennt. Die Fujara in einem Konzert zu hören, ist ein wertvolles Erlebnis, aber man muss es den Leuten erst erklären, was das für ein Instrument ist, bevor jemand kommt. Die Fujara ist dafür einfach noch zu unbekannt und das ja nicht nur in Deutschland.

Als Effektinstrument bei Live-Auftritten im Bereich Weltmusik begegnet man ihr häufiger oder in Soundtracks von Filmen wie Apocalypto, Masters Of The Universe (Zeichentrickfolge mit Zodak) oder die Blechtrommel. Ich bin gespannt auf die dritte Fujara-Welle, es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sie geben wird.

Wer kommt zu Dir, um das Instrument zu lernen?

MT: Menschen, die der Fujara begegnet sind und von ihr und ihrem Klang tief berührt wurden und nun einen Lehrer suchen. Die Geschichten, wie die Leute zu dem Instrument kommen, sind total vielfältig. Es ist ja (außer in der Slowakei vielleicht) nun mal nicht normal, dass man der Fujara begegnet und sie dann auch noch spielen möchte. Zu meinen Workshops oder zum Einzelunterricht kommen so verschiedene Menschen aus sehr verschiedenen Bereichen der Gesellschaft mit allen erdenklichen Berufen, aber sie alle erlebe ich als Neugierige und Suchende. Es gibt natürlich auch den Profi-Musiker, der Lust hat die Fujara kennen zu lernen und durch gezielte Anleitung etwas Zeit einsparen möchte. Die Leute sind toll, es macht mir sehr Spaß. Die Fujara als Grund sich zu treffen, scheint ein guter Grund zu sein.

Spielen Frauen auch Fujara?

MT: In der Vergangenheit gab es, wie ich gehört habe, zu diesem Thema viele Streitigkeiten. Ich kenne nur zwei Frauen, die in der Slowakei öffentlich auf Bühnen (natürlich in Tracht) spielen. Das wurde aber früher nicht geduldet, da Frauen ja schließlich auch keine Hirten waren und unter den älteren Traditionalisten ist es wohl immer noch nicht gern gesehen. In meinen Workshops und im Einzelunterricht sind sie allerdings immer sehr gerne gesehen und stets herzlich willkommen.

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