Derzeit gibt es in Großbritannien nur eine wirklich kleine Zahl an Leuten, die auf hohem Niveau Maultrommel spielen oder Veranstaltungen für das Instrument organisieren, schätzt der musizierende und schmiedende Maultrommelexperte und Didgeridoo-Meister Jonny Cope aus London ein. In einem Gespräch mit Helen Hahmann von DAN MOI erzählt er, was sich für das Instrument auf der Insel in den vergangenen Jahren verändert hat, was für ihn die größte Faszination beim Spielen ist und worauf Einsteiger_innen achten sollten.
In den vergangenen 15 Jahren erfuhr die Maultrommel einen enormen Aufwind. Sie ist öffentlich wieder präsenter und wird als Musikinstrument wahrgenommen und weiterentwickelt. Weltweit entstanden Festivals, es gibt immer wieder junge, ausgezeichnete Musiker, die in der Szene auftauchen, neue Maultrommelschmiede verkaufen hochwertige Instrumente, es werden Bücher über die Maultrommel geschrieben. In England ist es die Familie Wright, die Experten auf dem Gebiet der Maultrommel sind. John Wright war bis zu seinem Tod ein gefragter Botschafter und Experte für das Instrument. Sein Bruder Michael Wright hat eben ein Buch über die Maultrommel in Großbritannien und Irland veröffentlicht. Mit Jonny Cope wirbelt seit nun schon über zehn Jahren eine weitere Schaltstelle in Sachen jews harp auf der Insel.
„Maultrommelspielen wird so ein bisschen zur Sucht für viele Spieler. Entweder man legt sie schnell wieder weg, oder man wird total abhängig davon sie zu spielen“, denn obwohl es ein ganz einfaches Instrument ist, sagt Jonny Cope, sei die Maultrommel durch die Vielzahl an Stilen unheimlich komplex. „Ein Instrument aus China ist völlig anders als ein Instrument aus Indien oder Russland. Sie haben andere Techniken und Sounds. Ich konnte mich nie für nur eine Richtung entscheiden und habe angefangen alle zu lernen. Ich bin viel rumgereist und habe von den Leuten vor Ort gelernt. Manchmal sitzt man dann Tage lang da und versucht genau diesen Klang zu imitieren. Man wird dadurch immer besser darin zu unterscheiden, wie die Töne gebildet werden, ob durch der Zunge, die Kehle, durch Luftströme oder Stimme. Ich will gar nicht unbedingt jemanden kopieren. Es geht mir mehr darum, Techniken zu teilen und in mein eigenes Spiel einzubinden.“
Obwohl Jonny Cope sagt, dass er praktisch alle Stile mag, die man mit der Maultrommel spielen kann, ist er derzeit vor allem mit der norwegischen Maultrommelkunst verbunden. Das besondere in Norwegen sei, dass man lernt eine Maultrommel so gut zu kontrollieren, dass man mit ihr Melodien spielen kann. Er schlägt eines seiner beeindruckenden Maultrommel-Etuis auf, in der verschiedenste Instrumente in Stofftaschen nebeneinander gebettet sind. Auf der Maultrommel des legendären Schmieds Bjorgulv Straume spielt er die norwegische Melodie „Fangjen“:
Fangjen (Lied aus Norwegen). Aufgenommen auf dem Ancient Trance Festival in Taucha (2016).
„Ich war neun Jahre alt, als ein Freund von mir mit einer Maultrommel in die Schule kam. Wir wussten damals beide nicht, was das eigentlich für ein Ding war. Er wollte es loswerden. Es machte mich neugierig und ich habe es mit ihm gegen Kaugummi eingetauscht. Mein Großvater wusste dann, dass es sich um eine Maultrommel handelte und zeigte mir, wie man sie hält und einen Ton rausbekommt. Aber ich habe aber nicht lange damit gespielt, denn es war eine dieser großen englischen Maultrommeln. Die Feder schlug mir ständig gegen die Zähne, also legte ich sie recht bald zur Seite. Sie ist etwa aus dem Jahr 1940 und ich habe sie heute immer noch.“ Einige Jahre später, etwa um das Jahr 2000, hörte Jonny Cope Maultrommelmusik auf CDs und erinnerte sich an das kleine Twang-Instrument. Er kramte den Gegenstand des Tauschgeschäfts aus Kindertagen wieder hervor und entdeckte die Vielfalt der Maultrommel: dass sie in so vielen Ländern der Welt gespielt wird und klanglich erstaunlich abwechslungsreich ist. „Ich habe angefangen als Didgeridoo-Spieler. Ich war aber auch schon immer an ungewöhnlichen Sounds und Techniken interessiert, deshalb habe ich Oberton-Gesang gelernt, dann den mongolischen Khöömei. Damals hatte ich keinen Lehrer, also habe ich mir viel von CDs abgehört. Auf vielen dieser Aufnahmen aus Tuva und der Mongolei war auch Maultrommelmusik, so habe ich das Instrument wiederentdeckt.“
Wenn er ein zweites Leben hätte, gesteht Jonny Cope, würde er es wahrscheinlich als Musikethnologe verbringen. Seine Ohren seien schon immer auf außergewöhnliche Klänge geeicht gewesen. Auch wenn jemand in seiner Gegenwart pfiff oder summte spitze er schon als kleiner Junge die Ohren. „Ich würde sagen, ich bin ein Klangforscher. Ich höre nach wie vor viel Musik, die mir Freunde vorbeibringen. Einige von ihnen sind Musikethnologen. Sie bringen mir alte, seltene, manchmal auch unbeschriftete Aufnahmen. Ich höre mir diese verrückten Sachen dann an und versuche herauszufinden, was ich da eigentlich genau höre.“ Inzwischen spielt Jonny Cope nicht nur meisterlich Didgeridoo und Maultrommel, er beherrscht auch verschiedene Flöten.
Jonny Cope auf dem Ancient Trance Festival 2014
Im Gespräch benutzt Jonny Cope häufig den Begriff „jaw harp“. Um das bis heute geläufigere Wort „jews harp“ habe es vor allem in Großbritannien immer Unsicherheit und Diskussionen gegeben. Bis heute existiert keine Erklärung dafür, warum die Maultrommel in England „jews harp“ genannt wurde, denn bisher ist keine Verbindung zum Leben der jüdischen Bevölkerung ersichtlich. Es gibt jedoch verschiedene Theorien, wie der Begriff nach dem Stille-Post-Prinzip gehört worden sein könnte: „In Frankreich wird manchmal gesagt ‚joue trompe‘, das heißt ‚Trompete spielen‘. Vielleicht hörte man also das Wort joue und verstand jew. Das ist aber nur eine Möglichkeit. In Schottland war lange der Begriff gewgaw in Gebrauch. Da weiß man aber nicht einmal sicher, wie das Wort genau ausgesprochen wurde. Vor ein paar Jahren erst unternahm ich eine Reise in die Südstaaten der USA. Dort habe ich jemandem meine Maultrommel gezeigt und der sagte, ‚oh yeah, a juice harp‘. Er sprach es aus wie ‚orange juice‘, Orangensaft. Da dachte ich mir, aber was soll das denn irgendwie mit der Maultrommel zu tun haben. Daran sieht man, wie Leute sich Begriffe zurecht hören.“
Birmingham in England gehörte im 18. und 19. Jahrhundert zusammen mit Molln in Österreich zu den produktivsten Gegenden für Maultrommeln in Europa. Die Instrumente aus England wurden vor allem nach Nordamerika, Australien, Neuseeland und Südafrika exportiert. Allein in der Gegend um Birmingham gab es zeitweise etwa 30 Familien, die Maultrommeln herstellten. Ende des 19. Jahrhunderts waren dort noch knapp 20 Maultrommelhersteller registriert. Die Herstellung von Maultrommeln rentierte sich jedoch immer weniger und so verkaufte der letzte englische Maultrommelschmied Sid Philip 1975 sein Geschäft an ein US-Unternehmen. Jonny Cope ist seither der Erste, der wieder begonnen hat, Maultrommeln anzufertigen: „Ich lerne das Maultrommelschmieden in Norwegen. Sie schmieden die munnharpe, Instrumente, die etwas verschieden sind zu den englischen Maultrommeln. Aber ich mag die Munnharpe und lerne dort erst mal die grundlegenden Handgriffe. Jetzt kann ich sie auch schon selbst in England herstellen. Ein Freund von mir lernt das Schmieden nun auch.“ In der Schmiede steht Jonny Cope nicht nur um an Maultrommeln zu feilen. Als Liebhaber der Alten Geschichte schmiedet er auch Speerspitzen und Schwerter.
„Wenn man wirklich Maultrommel spielen lernen will, dann ist es, glaube ich, das Wichtigste, dass man eine wirklich gute Maultrommel besitzt.“ Jonny Cope weiß wovon er spricht, denn als Workshop-Leiter hat er schon unzähligen Menschen an das Instrument herangeführt. Auf der Onlineplattform Udemy gibt es sogar einen Maultrommel-Einstiegskurs von ihm. „Es gibt einfach viele Instrumente, die gar keine gute Klangqualität haben. Sie eigenen sich um einfach mal einen Rhythmus zu spielen. Aber wer die Obertöne klar hören und Klangspektren ausprobieren will, der sollte sich ein Instrumente besorgen, das sowas kann. Ich spiele zur Zeit auf Instrumenten aus Estland, die dort Parmupill genannt werden.“
Spring (Eigenkomposition von Jonny Cope). Aufgenommen auf dem Ancient Trance Festival in Taucha (2016).