Parmupill – Die Maultrommel aus Estland

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
Parmupill – Die Maultrommel aus Estland - Die estnische Maultrommel Parmupill.

Es ist ganz einfach einen Ton aus einer Maultrommel rauszubekommen. Man muss nur einige wenige Grundlagen kennen: wie hält man das Instrument in der Hand, wie setzt man es an den Mund, wie wird es gegen die Zähne gehalten und wie bringt man die Maultrommelfeder zum Singen. Der geheimnisvolle Klang dieser winzigen Instrumente zieht viele Länder bereits seit Jahrhunderten in seinen Bann. Die beiden älteste Maultrommeln wurden im Süden Estlands in der Festung von Otepää ausgegraben. Sie werden an den Anfang des 13. Jahrhunderts datiert und sind die bisher ältesten Maultrommeln, die in Estland gefunden wurden. Leider ist das kein Beweis dafür, dass Maultrommeln zu dieser Zeit in Estland verbreitet waren, denn Otepää war damals eine deutsche Festung. Allerdings gibt es viele Fundstücke aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die darauf hinweisen, dass Maultrommeln häufig von der ländlichen Bevölkerung Estlands gespielt wurden.

Heute besitzen wahrscheinlich viele Haushalte eine Maultrommel. Allerdings ist es gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der sie auch spielen kann. Zwar ist es einfach der Maultrommel einen Klang zu entlocken, um jedoch Melodien und Lieder mit ihr zu spielen, muss man – wie auf jedem anderen Instrument auch – üben. Auf den ersten Blick also scheint die Maultrommel ein triviales Spielzeug zu sein, tatsächlich aber ist sie ein Musikinstrument, das eine ausgefeilte Spieltechnik einfordert.

Weltweit gibt es hunderte Maultrommeltypen, die alle einen eigenen Namen besitzen: Parmupill in Estland, Guimbarde in Frankreich, Maultrommel in Österreich, Vargan in Russland, Munnharpe in Norwegen, Khomus in Tuva und Jew´s Harp in England. Ein interessanter Aspekt am englischen Begriff Jew´s harp ist, dass sich trotz der Wortbedeutung kein Bezug zur jüdischen Kultur ableiten oder nachweisen lässt. Wahrscheinlich vertauschten Schriftsetzer einst versehentlich die Buchstaben miteinander: es besteht Grund zur Annahme, dass es richtig jaw´s harp hätte heißen müssen. Jedoch wurden das a und das e miteinander vertauscht und seither hält und verbreitet sich in der englischen Sprache der eigentlich ungenaue Name.

Es gilt als sicher, dass die estnische Parmupill lange Zeit ein Tanzmusikinstrument war. Man muss sich mal vorstellen: ein Musiker geht zum Dorfplatz, zieht eine Parmupill aus seiner Tasche und spielt darauf Polkas und Waltzer: Es ist kein Witz, mit Musik auf der Maultrommel konnten Dorfmusiker ein ganzes Dorf zum Tanzen bringen.

Theodor Saar von der Insel Kihnu berichtete von einer Hochzeit in den 1930er Jahren, bei der ein Maultrommelspieler der einzige Musiker war. Als sich die Maultrommel nicht mehr vom Lärm des Fests abheben konnte, schauten die Leute auf die Bewegung, die der Musiker mit seinen Füßen machte. So fanden sie einen gemeinsamen Rhythmus und ein gemeinsames Tempo, um zusammen zu tanzen.

Es gibt genügend Hinweise darauf, dass zu Maultrommelmusik getanzt wurde. So kann man auch dieser Geschichte aus dem Nordosten Estlands, aus Jõhvi, Glauben schenken. 1944 von einem Mann erzählt: „ … wenn die Leute genug vom Arbeiten hatten, dann begannen sie zusammen Musik zu machen und zu singen. Sie tanzten zu den Melodien der Zithern und Konzertinas. Ein paar der Leute hatten Maultrommeln dabei und auch sie spielten manchmal zum Tanz auf.

Jaan Türk nannte die Maultrommel Froschharfe. Er spielte sie mit einer ganz anderen Technik, als Maultrommeln üblicherweise gespielt wurden. Er setzte sie nicht an den Lippen an, sondern hielt sie frei in der Mundhöhle. So entstand beim Spielen ein Klang, der an ein Schlürfen erinnerte. Seine Art zu spielen wurde dennoch hochgeschätzt.

Über den leidenschaftlichen Maultrommelspieler Peeter Vekmann ist eine interessante Schilderung überliefert: „Schon die ersten Töne von Peeters Spiel sorgten für eine derartige Stille im Publikum, dass man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Er war ein solch begnadeter Musiker auf der Maultrommel. Sein Klang war farbenreich und wandlungsfähig. Das Publikum war wie gefesselt von seinem Spiel und wollte ihn nicht von der Bühne gehen lassen, bevor er nicht noch ein weiteres Stück gespielt hatte.

Peeter Piilpärk

Peeter Piilpärk war ein Musiker und Instrumentenbauer aus Nordestland, der u.a. auch Maultrommel spielte. Er sagte, er habe die Maultrommel „unter der Zunge“ und „über der Zunge“ gespielt. Auf der estnischen Insel Kihnu spiele man den Stil „unter der Zunge“

Jaan Rand

Jaan Rand ist ein leidenschaftlicher Musiker. Sein Instrument hat er überall dabei, egal wo er hingeht.

Ruuben Kesler

Ruuben Kesler sagte, „Sobald ich auch nur einen Moment frei habe von meiner täglichen Arbeit auf dem Hof, schnappe ich mir meine Maultrommel. Es macht mein Gemüt froh und mein Körper fühlt sich ganz leicht an.

Villem Ilumäe

August Pulst beschreibt die Begegnung mit dem talentierten Musiker Villem Ilumäe sehr anschaulich in seinen Erinnerungen: „Als ich Villem das erste Mal zu Hause besuchte, war ich sehr erstaunt, dass er in einem ganz einfachen Haus ohne Schornstein lebte. Er kam hinter seinem Haus hervor und ich rief ihm zu, ob er der Maultrommelspieler sei, den ich suchte. Er lachte breit, griff in seine Jackentasche und holte eine Maultrommel hervor. Ich sagte zu ihm: ‚Na das ist doch mal ein richtiger Musiker, einer der immer sein Instrument bei sich trägt, so wie ein Raucher seine Pfeife!‘ Als ich das sagte, huschte ein Funkeln über seine Augen und er antwortete ohne zu zögern, ‚für wahr, ich habe dieses Instrument auf Herz und Nieren geprüft. Hier in der Gegend nennen wir es suupill [Mundinstrument].’“ Villem Ilumäe besaß seine Maultrommel zu diesem Zeitpunkt bereits seit 58 Jahren. Nur einmal sei die Feder gebrochen und er habe sie wechseln müssen.

Dieser Artikel wurde von Cätlin Mägi für uns geschrieben. Cätlin lebt als Musikerin, Musikpädagogin und Musikproduzentin in Estland.

Literaturhinweis: Mehr über die Musiker Peeter Piilpärk, Jaan Rand, Ruuben Kesler, Villem Ilumäe und andere estnische Maultrommelspieler erfährt man in dem Buch „Eesti Parmupill. Estonian Jew´s Harp“, hrsg. v. Estonian Literary Museum und den Estonian Folklore Archives, das unter der Regie von Cätlin Jaago entstand und 2011 veröffentlicht wurde.


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