Im Jahr 1964 verbringt der französische Ethnologe Jacques Lemoine mehrere Wochen in der Provinz Saiyabouri im Nordwesten von Laos. Er hat ein Tonbandgerät dabei und nimmt während seines Aufenthalts bei den Hmong immer wieder Musik auf. Die Hmong sind mehrere indigene Bevölkerungsgruppen, die in den Bergen von Südchina, Laos, Vietnam und Thailand leben. An einem Nachmittag schaltet der Ethnologe sein Mikrophon in genau dem Moment ein, als zwei Menschen eine Unterhaltung auf ihren Maultrommeln beginnen.
Dokumentiert ist dieses Gespräch im Online-Klangarchiv des Pariser CREM (Centre de Recherche en Ethnomusicologie): Duo de Guimbarde.
Die Maultrommeln auf Jacques Lemoine´s Aufnahme werden nicht gleichzeitig im Duo, sondern abwechselnd gespielt. Der erste Maultrommelspieler hört dem zweiten zunächst zu und antwortet ihm dann. Sie werfen sich gegenseitig Botschaften und Sätze zu, sie übersetzen Worte auf ihr Instrument. Um einen Text auf die Maultrommel zu übertragen, folgen sie den Worten, die sie auch singen können, in ihrem Kopf und folgen der Sprachmelodie wie automatisch mit der Maultrommel. Die Tonhöhen der Maultrommeln orientieren sich an den acht Sprachtönen der sogenannten Miao-Sprachen, die von den Hmong verwendet werden.
Auch mit der Mundorgel Khen verschlüsseln die Hmong Worte und ganze Sätze. Der Musikethnologe Patrick Kersalé schreibt im Begleittext zur CD „Music and Singing of the Hmong in Vietnam“, dass es sich dabei um eine komplizierte Verschlüsselung handelt, die nur von Eingeweihten verstanden werden kann. Die Khen-Spieler tanzen meist auch zu ihrer Musik. Diese Tänze haben z.B. bei Totenfeiern eine wichtige Bedeutung. Mit der Musik, die auf Beerdigungen auf der Khen gespielt wird, weisen sie dem Verstorbenen den Weg ins Jenseits und achten gleichzeitig darauf, dass er den Weg zurück in die Welt der Lebenden nicht mehr finden kann.
Die Hmong-Maultrommel ncas (jenes Instrument, das als Dan Moi bekannt ist) benutzen Jungen und Mädchen zum Flirten. Kersalé schreibt: „Der Junge schleicht sich nachts, wenn alle schlafen, zum Haus des Mädchens. Mit größter Diskretion setzt sich der Junge an die Hauswand, hinter der das Mädchen schläft. Die Wände der Hmong-Häuser sind aus Holz gefertigt, mit Lücken zwischen den Holzplanken, sodass man gut hören kann was draußen passiert. Die beiden beginnen ein Gespräch, dessen Worte zum Teil mit der Maultrommel simuliert werden.“
Dass die Idee Sprache auf die Maultrommel zu übertragen auch Inspiration für Maultrommelspieler_innen außerhalb der Hmong-Communities bieten kann, demonstriert dann und wann der französisch-vietnamesische Musikethnologe Tran Quang Hai. Im Dokumentar-Film „Mundton“ demonstriert er, wie die Worte „Hello, how are you. I´m very pleased to play the jew´s harp for you“ deutlich hörbar mit der Maultrommel wiedergegeben werden können. Auf diese Weise lässt sich obendrein die Stimme eines Roboters simulieren. Ausprobieren macht auf alle Fälle richtig Spaß.