„The pleasure to play a sound“: Steev Kindwald und sein Leben mit der Doppelflöte Alghoza

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
„The pleasure to play a sound“: Steev Kindwald und sein Leben mit der Doppelflöte Alghoza - The pleasure to play a sound. Steev Kindwald und sein Leben mit der Doppelflöte Alghoza

Seit zwanzig Jahren bereits spielt Steev Kindwald die indische Doppelflöte Alghoza und erst nach zwanzig Jahren, so sagte ihm sein Meister in Rajasthan, „ist man in der Lage, das Instrument gut klingen zu lassen“ – vorausgesetzt, man widmet sich in dieser Zeit voll und ganz dem Alghoza-Studium. Alghoza spielen ist das Erste, was man nach dem Aufwachen macht und das letzte, bevor man zu Bett geht. Steev spielt mehrere Stunden täglich Doppelflöte. Er sagt, es geht um viel mehr, als das bloße Lernen und Üben eines Instruments. Alghoza spielen ist ein Seins-Zustand, eine Lebensform. Und es ist der Spagat zwischen Anpassung und Kreativität: Die Kunst, wie jene Menschen zu leben, die die Alghoza bis zur Vollendung verinnerlicht haben und gleichzeitig seine eigenen Varianten dieser Musik zu prägen, sie individuell zu formen. Das Interview mit Steev Kindwald (der auch ein ausgewiesener Experte für asiatische Maultrommeln ist) führte Helen Hahmann im Sommer 2019 bei DAN MOI in Taucha.

Bei einem Meister in Indien Doppelflöte spielen zu lernen, ist wirklich etwas Besonderes. Wie ist das für Dich?

Wenn man diese Instrumente spielt, dann legt man ein großes Versprechen ab, besonders im Kreis einer Musikerkaste. Wenn man Einlass haben und mitmachen möchte, sollte das auf korrekte Weise geschehen, man sollte dem Ganzen echten Respekt zollen. Eins ist klar: je mehr du gibst, desto mehr bekommst du. Andererseits will man keine bloße Marionette werden und nur die Tradition kopieren.

Mein Meister war da sehr klar. Bezüglich der Doppelflöte, der Alghoza, sagte er: „Wenn du diese Lieder spielen lernst, dann ist das nur der Anfang, es ist wenig, fast nichts. du lernst das Lied, Ok. Aber dann, wo sind die Variationen?“ Das bedeutet, dass jede Person, die Doppelflöte spielt (in diesem Falle sind es nur Männer), ihre ganz individuelle stilistische Variation ausprägt. Als Menschen aus dem Westen vergessen wir manchmal, dass wir Lieder nicht nur kopieren, sondern Varianten von ihnen spielen. Meine Variante wird sich von deiner unterscheiden und dadurch wird sie zu Kunst und zu einzigartiger Kultur.

Wie hat Dein Meister für die Doppelflöte reagiert, als Du ihn gebeten hast, Dir seine Musik zu unterrichten?

Naja, er sagte, „Wenn du diese Musik spielen möchtest, dann musst du so leben wie wir, so gut du kannst. Du spielst nicht deine Musik in unserem Haus, du spielt allein unsere.“ Natürlich haben sie mir nicht ihre Sprache beigebracht, sie ist eher ein Geheimnis, denn die Sprache ist der private Raum dieser Menschen. Der Privatraum ist in Indien nicht an einen physischen Ort gebunden, vielmehr wird er durch Sprache geschaffen. Aber mein Meister sagte: „Du trägst die Kleidung wie wir, du schläfst wie wir schlafen, du isst wie wir essen, du wirst krank wie wir krank werden, du trinkst wie wir trinken und du spielst Musik wie wir Musik spielen und strengst dich dafür wirklich an.“ Auf diese Weise kommt man dem Lebensgefühl dieser Menschen zumindest etwas näher.

Die Musik der jungen Leute, die ihr Leben mit viel Technik um sich herum verbringen, diese Musik klingt auch so. Die älteren Generationen hingegen sehen schon rein von der Physis her anders aus, sie verbringen viel mehr Zeit mit der Natur, mit den Tieren. Sie leben in einem naturnahen Umfeld, sie ernähren sich von natürlichen Lebensmitteln und sprechen die alten Sprachen, sie tragen die traditionelle Kleidung (aber nicht im Sinne einer Tracht). Die Schwingungen und die Klangfarben der Töne, die diese Menschen produzieren, klingen definitiv anders.

Seit wie vielen Jahren lernst Du die Alghoza spielen?

Mein Lehrer sagte, dass der gute Klang nach etwa 20 Jahren kommen würde. Nun spiele ich die Doppelföte seit etwa 20 Jahren und habe die Wüstenregionen in den letzten 20 Jahren so oft besucht wie nur irgend möglich. Meine Regel lautet, wenn ich ernsthaft krank werde, dann muss ich das Dorf verlassen und eine Pause einlegen. Es ist so eine Art Energie, die mir dann sagt, „Zeit zum Üben“, denn ein Meister kann dich unterrichten, aber üben muss man allein. Das Üben ist schon fast spirituell in Indien. Üben ist das Zentrum aller Dinge. Du übst idealerweise am frühen Morgen, noch bevor du dir Wasser ins Gesicht gespritzt hast, vor dem ersten Tee, vor allem anderen. Dein Körper wacht auf und beginnt diese Dinge zu tun.

Es gibt zwei Fragen, die mir oft gestellt werden, wenn ich zurückkehre: Wie geht es deiner Familie? Und, wie viele Stunden pro Tag übst du? Das ist auch eine Art und Weise mit Musik, mit Kunst und deinem Körper umzugehen, denn diese Musik ist sehr physisch. Wir machen viele Atemkontroll- und Rhythmusübungen. Manchmal spielen wir auch sehr schnelle, technisch anspruchsvolle Pattern. Das ist körperlich teilweise recht anstrengend, aber es fordert auch mental heraus. Man könnte sagen, dass diese intensive Erfahrung des täglichen Übens über 20 Jahre hinweg deine DNA umprogrammiert und das Spielen zu einer Art Automatismus wird.

Das klingt nach einer wirklich harten Schule und einer anstrengenden Form zu leben?

Weißt Du, es ist eher etwas sehr Hingebungsvolles. Es hängt davon ab, was du mit deiner Lebensenergie machen möchtest. Hart oder nicht. Du setzt einfach deine Zeit für etwas ein. Als „hart“ empfindet man das wahrscheinlich eher von einem modernen Standpunkt her. Ich würde nicht sagen, dass es hart ist, es ist einfach das, was wir machen. Wir wachen auf und während der heiße Wind durch das Dorf bläst, spielen wir Doppelföte, bis wir wieder zu Bett gehen oder nicht mehr können.

Mein Meister und ich haben bestimmte Trance Pattern geübt. Wir nennen sie „Lehras“. Er legte seine Uhr vor sich hin und sagte, „20 Minuten ein Pattern, ab jetzt.“ Aus westlicher Perspektive ist das möglicherweise echt hart, aber genaugenommen lernt man auf diese Weise sehr gut. Wenn du 20 Minuten ein Pattern spielst, vergisst du deinen Namen! Es ist wirklich eine Yogi-Methode mit Klang umzugehen. Im Japanischen gibt es eine Übersetzung für das Wort Musik, die lautet: „Der Genuss des Klanges“ („The pleasure of sound“).

Welche Geschichte hat die Doppelflöte, woher kommt sie eigentlich?

Ihre Geschichte beruht scheinbar auf dem Zusammenleben mit Tieren. In der Wüste ist das Tier entscheidend für alles: für die Kleidung, die traditionellen Häuser, das Feuer, für das Essen, die Getränke und für den Lebensrhythmus. Die Tiere nehmen also großen Einfluss. Überwiegend gibt es Ziegen und Kamele, außerdem Wasserbüffel und Kühe. In letzter Zeit auch Schafe, aber das ist eher etwas Modernes, denn sie sind nicht so gut an das Klima angepasst. Es gibt auch einige wenige Pferde, aber das ist eigentlich nicht üblich, weil es schwer ist, das Futter für sie zu besorgen. Man könnte sagen, in der Mehrheit gibt es Schafe und die Menschen sind in der Minderheit. Wie wir also mit den Tieren sprechen, das beeinflusst auch unsere Musik; das findet man in allen Hirtenkulturen auf der Welt. In Rajasthan hat sich diese Hirtenkultur mit einer Art Sufismus gekreuzt. Und der Sufismus, der sich in dieser Gegend verbreitet hat, hat sich mit der Geschichte der Indus-Zivilisation gemischt.

Tatsächlich ist es so, dass scheinbar niemand weiß und es auch nicht wichtig zu sein scheint, woher die Doppelföten eigentlich kamen. Die Geschichte ist schließlich noch lebendig und die traditionellen Menschen haben oft nur ein geringes Interesse an solchen Fragen, denn sie sind ja noch mittendrin in diesem Leben und der Kultur. Die Instrumente könnten aus Europa gekommen sein, denn in Südeuropa gibt es viele Doppelflöten-Traditionen, die bis ins heutige Mazedonien in die Zeit von Alexander dem Großen zurückgehen. Diese Herkunft ist wahrlich überraschend, denn wir denken oft, dass die Dinge aus Asien nach Europa kamen. Aber das ist absolut nicht der Fall, die Dinge kommen aus verschiedenen Richtungen. Ich kann keine alten Abbildungen von Doppelflöten in Rajasthan finden, trotz jahrelanger Recherche. Aber es ist bekannt, dass die ältere Musik für Doppelflöte über die Region Balochistan im Iran auf den indischen Subkontinent gekommen ist.

Warum ich mir gerade diese Region ausgesucht habe (oder sie für mich ausgesucht wurde)? Diese bestimmte Gegend besitzt technisch eine der am weitesten fortgeschrittenen und noch lebendigen Traditionen für Doppelföte in der Welt. Ich habe mich in die Wüste verliebt und spüre häufig wie es mich zu ihr hinzieht – in meiner freien Zeit spaziere ich nachts oft durch den Sand.

Welche Namen gibt es für die Doppelflöten in Rajasthan und zu welchen Anlässen werden sie gespielt?

Es gibt so viele Namen. Der klassische Name, der von jedem in der modernen Welt benutzt wird, ist Alghoza (Algooja). Es gibt aber auch Satara, wir nennen sie Pava, Jodiya Pava, oder Jori, oder Joria, auch Beenoon. Es gibt so viele verschiedene Namen, aber im Grunde handelt es sich um zwei Flöten und ihre vielen Variationen sowie vielfältigen Stimmungen. Die Alghoza wird gespielt, um den Regen zu rufen, um für den Regen zu danken, für Ahnen- und Trance-Zeremonien und für den poetischen Gesang (wir spielen die Dichtungen von Hazrat Shah Abdul Latif). In der Region Balochistan werden Trance Zeremonien ganz offen begangen. Auch in Rajasthan gibt es Trance-Arbeit, aber das habe ich dort niemals gesehen, es ist sehr geheim. Vielleicht ist das der beste Weg, um diese wichtige innere Arbeit zu schützen. Die meisten Doppelflöten-Spieler sind Schamanen, wenngleich sie dir das niemals sagen würden. Das Instrument verbindet also die Natur und das tägliche Leben, Trance und das Erzählen von Geschichten.

Wie ist die Musik in das soziale Leben in Rajasthan verankert?

Die Musikerkaste, mit der ich es zu tun habe, ist schriftlichen Belegen zufolge 600 bis 800 Jahre alt. In der Regel gibt es keinen Bruch zwischen den Generationen; die Weitergabe des Wissens von Generation zu Generation sollte niemals unterbrochen werden. Dennoch gibt es Menschen, die einfach keine guten Musiker sind. Das passiert hin und wieder. Dann werden sie Farmer oder arbeiten in der Textilindustrie. Die Musikerkasten arbeiten in einem Patronage-System. Meine Kaste arbeitet für die Sindhi-Sipahi, eine Art der Sindhi Wächterkaste. Es sind Hirten. Die Musiker spielen für deren Zeremonien, und vielleicht noch viel wichtiger, sie singen die Lieder der Stammlinien. Man könnte also sagen, die Musiker sind Genealogen. Die Familie des Patrons wächst, also wächst auch die Familie des Musikers und es entsteht ein riesiges Netzwerk von Beziehungen. Die Menschen leben von dieser Musik und nach einer Zeremonie werden sie mit Geschenken bezahlt, z.B. mit Tieren, Getreide, inzwischen auch mit Gold oder Geld. Weiterhin gibt es private Zeremonien, für die Musik gebraucht wird, wie Hochzeiten, Beschneidungen, Totenzeremonien und sogar für die Dichtungen über die Geschichten der älteren Männer. Die Vielfalt an Zeremonien im Lebenszyklus einer Familie ist beachtlich groß. Außerdem ist da noch die Musik für die Sufi Heiligen, was wieder etwas vollkommen anderes ist.

Hast Du dieses Repertoire auch gelernt?

Natürlich. Wenngleich es der Kaste mit der ich es zu tun habe, nicht erlaubt ist, mir ihre Musik zu unterrichten, damit ihre Arbeit geschützt bleibt. Wenn du also dort bist und das weißt, dann denkst du nicht einmal darüber nach oder versucht an ihre Musik heranzukommen, denn es birgt die Gefahr, dass das die Beziehung beendet. Ich habe ihr Repertoire trotzdem studiert, aber allein. Und ich frage die Menschen dort, was angemessen ist, was weit genug außerhalb ihres persönlichen Repertoires liegt.

Kannst Du die Doppelföte etwas genauer beschreiben? Und was bedeutet dir das Instrument?

Wir sprechen grundsätzlich über zwei Flöten (ähnlich der Blockflöten). Eine Flöte spielt die Bordunstimme, die „Nar“. „Nar“ bedeutet Schilfrohr, die Flöten wurden früher aus diesem Material hergestellt. Dieser Teil der Flöte ist männlich. Die andere Flöte ist die Sängerin, wir nennen sie „Madi“, sie ist weiblich. Für mich sind diese Flöten ein Schatz der Menschheit. Man hat es auf eine Weise mit ganz einfachen Objekten zu tun, aber weil sie paarweise gespielt werden, müssen sie genau zueinander passen. Trotz ihrer Einfachheit, ist diese Balance sehr schwer zu finden. Die Flöte hat einen Tonumfang von einer Oktave und zwei bis drei Tönen nach oben sowie vier bis fünf Tönen nach unten. Das ist abhängig von der Griffkombination, die man nimmt.

Um näher auf die Technik der Doppelflöte einzugehen: Man wendet die Zirkularatmung an; gleichmäßiges Atmen in der Einleitung („Doha“) und rhythmisches Atmen im Melodieteil. Das Flötenpaar ist nicht untereinander verbunden. Der Bordunton aber muss stabil erklingen und dabei immer richtig zur Melodieflöte gestimmt sein. Der Spieler macht also stetig subtile Bewegungen, um die Feinstimmung zwischen den Flöten auszubalancieren. Gleichzeitig nutzt er die Zunge und den Atem-Akzente für verschiedene Staccato-Typen. Nicht zu vergessen, die Melodie und die begleitenden Patterns, die auch genutzt werden, um den Kontext zu kommunizieren, denn bei den Melodien handelt es sich um Lieder und Dichtungen mit bekannten Themen. Die Oktave entsteht durch schwierige Griffkombinationen, während der Bordun stabil erklingt und dem Rhythmus folgt.

Man hat also ein vollständiges Instrument, das Melodien und Variationen in einem klaren Rhythmus und einem Bordunton spielt sowie verschiedene Modi für jeden Bordun, denn dieser Ton kann umgestimmt werden. Es gibt mindestens acht Stimmmöglichkeiten und Modi innerhalb jeder Stimmung. Je nach den Fähigkeiten des Spielers lassen sich diese noch transponieren. Das hält den Atem fit. Weil das Ganze einiges an physischer Kondition fordert, achte ich darauf gesund zu bleiben, ganz besonders auf Tour und wenn ich regelmäßig Konzerte spiele.

Alle Leute, egal wo ich bin, scheinen den Klang der Alghoza zu genießen. Das ist sehr interessant, denn ich habe diese Freude, die die Schwingungen der Doppelflöte auslösen, bei meinen Konzerten in über 15 Ländern der Welt beobachten können. Auch wenn die meisten nicht wissen, was das für ein Instrument ist, ganz egal, die Flöte macht die Leute glücklich. Es scheint etwas zu sein, mit dem sich Menschen in Verbindung setzen können.

Welches Repertoire spielst Du?

Ich mische vier oder fünf Doppelflöten Traditionen mit Stücken, die ursprünglich keine Doppelflöten-Lieder sind, die ich aber adaptiere. In letzter Zeit habe ich viele Stücke aus dem Nar-Repertoire übertragen. Die Nar ist die alte Ney-Flöte der Region mit vier Grifflöchern. Ich mixe auch japanische Lieder und indonesische Arpeggien. Meine Phrasierung ist stark vom Jazz beeinflusst und natürlich spiele ich meine eigenen Kompositionen. Wenn ich traditionelle Musiker aus der Wüste treffen, dann sagen sie oft, „Öffne dein Herz, zeig mir, was du kannst, spiel etwas für mich.“ Das erste Mal, als ich für meinen Meister gespielt habe, sagte er, „Ah, das ist Jazz!“. Es hat mich beeindruckt, dass er diesen Musikstil kannte und ich dachte, „Gut, dann ist es das.“

Diese Phrasierungen kenne ich seit meiner Kindheit. Der musikalisch-kulturelle Teil meiner Familie kommt aus Siebenbürgen. Die Musik dort hat Ähnlichkeit mit der Musik, die ich jetzt spiele: es wird sehr schnell gespielt, man hat es mit vielen Wechseln zu tun, die Musik basiert auf Borduntönen, auf Orgelpunkten und Modi. Ich vermische all diese Einflüsse immer stärker. Ich benutze viele verschiedene Rhythmen und wechsele die Modi. In Indien übrigens sollte man den Modus innerhalb eines Stückes normalerweise nicht wechseln. In der persischen Musik wiederrum ist das möglich. Ich liebe es diese Wechsel einzuflechten, es entsteht dadurch so eine Art Blue-Note-Effekt.

Man spielt mit einem klaren Bewusstsein, das ist das Wichtigste dabei. Es geht nicht allein um Musik. Man spielt und das macht etwas mit dir; es geht um den Effekt, den man bewirkt, nicht nur um die Form.

Gibt es etwas, das Du mit Deiner Musik erreichen möchtest?

Wenn eine traditionelle Person ihre Musik mit dir teilt, dann ist das ein Geschenk. In Wahrheit handelt es sich um eine Verantwortung, die man übernimmt, wenn man erstmal begonnen hat sich mit der Kultur zu beschäftigen. Ich bin enorm glücklich, dass ich von meiner Musik leben kann. Menschen zu inspirieren ist unheimlich wichtig, denn mich haben auch so viele Menschen beeinflusst. Ich mache diese Arbeit, weil es mir ein echtes Vergnügen bereitet. Wenn ich drei bis fünf Mal in der Woche auftreten kann, bin ich glücklich. Ich übe viele Stunden täglich, deshalb ist es für mich ganz natürlich oft vor Leuten zu spielen. Tatsächlich ist es ekstatische Musik. Sie bringt den Menschen inneren Frieden, Freude, Wohlbefinden. Wenn man diese Gefühle eines Menschen erreichen kann, dann jongliert man in diesem Moment mit Bewusstseinszuständen.

Ich habe darüber hinaus über die Jahre eine große Menge Feldaufnahmen mit traditioneller Musik gesammelt, die bisher nicht veröffentlicht wurden. Ich bezahle die Künstler, die ich aufnehme. Ich kümmere mich ganz diskret um ihre Familien, um ihre Probleme; das ist, was ich im Leben mache, wofür ich mich einsetze. Einige dieser Traditionen verschwinden so langsam, es wäre also an der Zeit die Aufnahmen zu veröffentlichen. Ich habe eine Menge Maultrommelmusik aus Zentral- und Ostindonesien aufgenommen; außerdem viel Musik für Doppelflöte sowie die Musik von allen Nar Meistern in Indien, die ich finden konnte. Ich habe in 20 Jahren nur neun Meister gefunden, das ist nicht genug, sie sind wirklich selten inzwischen. Weiterhin habe ich Aufnahmen von einer Menge traditioneller Trance- bzw. Ekstase-Festivals in Asien gemacht; Trance im Sinne des Umgangs mit Bewusstseinszuständen in einem spirituellen Kontext. Ich habe mit Musik aus Burma gearbeitet, weiterhin über viele Jahre mit Musik aus der Grenzregion zu Thailand. Ich möchte, dass diese Musik Wertschätzung erfährt und die Menschen in Zukunft inspirieren kann.

Ich stelle auch selbst Instrumente her. Meine jüngste Arbeit einer Triple-Flöte mit einer Bordun-Pfeife und zwei Melodie-Pfeifen, die nicht unisono gestimmt sind, die man aber übereinander spielen kann, sowohl im legato als auch im staccato. Ein anderes Instrument, das ich baue, heißt Jajbina, es ist eine 1.50 m quergeblasene Trance-Flöte, die mit Zirkularatmung gespielt wird. Sie hat sieben Oktaven und obwohl ich schon 12 Jahre auf ihr übe, befindet sie sich immer noch in der Entwicklung. Es gibt noch ein paar wenige Einschränkungen, die mit dem intensiven Üben und Atmen in Zusammenhang stehen. Und ich will die Saluang nicht vergessen, die Trance Flöte der Minangkabau aus Sumatra. Ich untersuche deren Trance-Flöten Tradition. Die Saluang hat vier Grifflöcher in einem langen Stück Bambus. Sie wird nahezu ausschließlich im multiphonen Modus mit Zirkularatmung gespielt.

Jajbina

Triple Flöte

Saluang

Welche anderen Flötentraditionen haben Dich noch beeinflusst?

In den vergangenen sieben oder acht Jahren habe ich mich sehr stark für die Musikarchäologie interessiert. Ich stelle Reproduktionen von Flöten aus der Eiszeit und anderen erdgeschichtlichen Zeitaltern her. Ich arbeite auch mit der ISGMA, der International Study Group of Music Archaeology, zusammen. Über die Musikinstrumente gewinnen wir Erkenntnisse zur Entwicklung der Menschheit. So wissen wir, dass der Mensch vor 41.000 Jahren die Intervalle Sekunde, kleine Terz, Quinte und Oktave kannte. Ich konnte das durch die Reproduktion der alten Instrumente nachweisen. Die Blockflöte gibt es mindestens seit 32.000 Jahren. Darüber hinaus gibt es noch die Flöten aus dem alten Ägypten, mit welchen ich gearbeitet habe.

Was ist es für ein Gefühl, wenn man auf den Nachbauten von alten Flöten spielt und untergegangene Klänge wieder zum Leben erweckt?

Wenn man auf einer Flöte aus der Altsteinzeit spielt, hat das eine riesige Wirkung. Ich habe die Reproduktion einer eiszeitlichen Flöte aus der Höhle „Hohler Fels“ im Achtal in der Schwäbischen Alb für Leute auf dem Ancient Trance Festival gespielt. Das hatte natürlich seine besondere Wirkung, denn die Leute konnten den Klang hören, den schon ihre Vorfahren gehört haben. Es waren die Instrumente von Mammut-Jägern, sehr starke Personen, die mehrere Eiszeiten überlebt haben. Sie lebten in Tälern, in welchen ein Mikroklima herrschte.

Viele dieser Instrumente betrachte ich als Zeitmaschinen. In letzter Zeit interessiere ich mich beispielsweise auch für japanische Shakuhachis. Die Leute sagen dann zu mir, „warum willst du so eine Flöte, sie ist schwer zu spielen und verstimmt.“ Ich habe geantwortet, „Es sind Zeitmaschinen, die uns ein Fenster zu dem Klang öffnen, der aus der Zeit eines nicht-verwestlichten Japan stammt.“ Man spielt also mit dem Faktor Zeit und dem Konzept der Erinnerung. Wenn man das Konzept der wohltemperierten Stimmung mal bei Seite schiebt (ein Konzept, das lediglich seit ca. 200 Jahren existiert), dann spielt man mit den Frequenzen all unserer Vorfahren und der Natur, die unsere Spezies hat wachsen lassen.


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