Raus aus dem Alltag: Eine Gedankenreise mit dem Maultrommelspieler Yoeman

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
Raus aus dem Alltag: Eine Gedankenreise mit dem Maultrommelspieler Yoeman - Raus aus dem Alltag: Eine Gedankenreise mit dem Maultrommelspieler Joachim Hellmann alias Yoeman

Joachim Hellmann ist in seinem Wohnort in der Uckermark für seine Maultrommel-Leidenschaft bekannt. Eigentlich unterrichtet er Qi Gong und Taijiquan und arbeitet als pädagogischer Mitarbeiter an einer Grundschule. Manchmal spielt er aber auch mit den Kindern Maultrommel. Und hin und wieder wird er gefragt, ob er nicht einfach mal so zum Spaß ein Stück auf dem kleinen Hosentascheninstrument hervorzaubern kann. Auch auf Camps oder Festivals ist er mit der Maultrommel unterwegs, dann unter seinem Pseudonym Yoeman. Er sagt, die Maultrommel ist ein Spaßmacher und ein Kontaktmacher. Sie verbindet Menschen. Die Maultrommel ist aber auch das perfekte Instrument für Momente, die man allein verbringt; besondere Momente, wie etwa nach dem Auftritt von Yoeman im Sommer 2019 beim Ancient Trance Festival …

Auf dem Marktplatz der Stadt Taucha ist es ganz still geworden. Die letzten Festival-Stände klappen ihre Tische zusammen und verstauen ihre mit Armbändern, Traumfängern und farbigen Klamotten gefüllten Boxen. Auf der Bühne rollt ein Techniker die letzten Kabel zusammen. Eine Gruppe mit Leuten ist nach dem Konzert noch auf dem warmen Kopfsteinpflaster sitzen geblieben und lässt den Tag ausklingen. Am Bühnenrand steht Yoeman und unterhält sich noch mit einem seiner Zuhörer während er Maultrommeln und eine Wasserflasche in den Rucksack schiebt. Mit einem wohligen Gefühl aus Energie und Erschöpfung von einer Stunde mitreißendem Konzertprogramm schwingt er sein Gepäck über die Schulter, verabschiedet sich vom Festivalgast und drückt sich flink zwischen den Lautsprechern am Bühnenrand vorbei auf die andere Straßenseite. Der auto- und menschenleeren Parkplatz hinter einem der Stadthäuser von Taucha ist wie gemacht für eine Auszeit. Nur wenn eine Katze dem Bewegungsmelder in die Quere kommt oder Yoeman eine ausladende Bewegung macht, geht ein Hauslicht an und blendet für ein paar Momente die sommerliche Dunkelheit. Yoeman lässt sich auf einer Bank fallen, die müde an der Hauswand lehnt. Stellt den Rucksack an den Fuß des Ruheplatzes und atmet tief durch.

Aus dem Rucksack zieht er einen Holzkasten so groß wie ein Bilderbuch. Er öffnet den Verschluss, klappt den Deckel auf und betrachtet nachdenklich die Instrumente, die sich in kleinen Fächern von ihrem eben absolvierten Liveprogramm ausruhen. Yoeman greift nach der Vargan, die von einem Schmied im Ural gebaut wurde. Mit der kann man schöne, tiefe, entspannende Trance spielen. Er zupft nur einmal an der Feder, dann lässt er den Ton klingen bis zur allerletzten Nuance. Wie kann man jemandem die Beziehung zu seinen Instrumenten beschreiben? Yoeman greift meist intuitiv zu der Maultrommel, die zu seiner jeweiligen Stimmung passt. Seine Gedanken schweifen zurück zum Konzert. Heute hatte sich die Musik ganz selbstverständlich von seinem ursprünglichen Plan wegentwickelt. Der Plan, der beim letzten Konzert so gut funktioniert hatte, verselbstständigte sich hier in Taucha. Der Flow hat Yoeman einfach weggetragen. Es geht so viel um die Energie im Raum und mit dem Publikum. Wenn die Leute mitgehen, voll dabei und locker sind, dann kann man es genießen, die Musik einfach auf sich zukommen zu lassen. Auf die Ankerpunkte, die sich in über 30 Jahren Spielpraxis gebildet haben, ist Verlass: Spieltechniken, eigene Songs und Gespür.

Yoeman betrachtet die Vargan noch einmal flüchtig und legt sie dann in die Box zurück. Sein Blick fällt auf eine Maultrommel aus der Ukraine. Nicht teuer gekauft und dabei gut spielbar, mit einer guten Stimmung. Ideal für Workshops, aber auch ideal, um selbst darauf zu spielen. Ein abgefahrenes Instrument. Man kann mit ihr einen langsamen, obertonreichen Beat spielen und Fingerstopps in den Flow einbauen, ganz so wie mit den Maultrommeln von Zoltán Szilágyi und von Andreas Schlütter, die Yoeman für seine Spieltechnik favorisiert.

Diese ukrainische Maultrommel liegt fest in der Hand. Yoeman umschließt sie mit seiner linken Hand, um sich daran zu erinnern. Das Metall ist von der Sommerluft noch ganz warm und fühlt sich ungewöhnlich weich an. Dieses Instrument lässt sich auch dann noch gut halten, wenn man länger darauf spielt. Wenn die Musik ganz ohne Loops und Effekte entsteht, wie bei Yoeman, ermöglicht der feste Sitz zwischen den Fingern, dass man minutenlang auch ohne Stopps, Breaks und Absetzen spielen kann. Dass man mit diesen Instrumenten darauf verzichten muss besonders schnelle Schläge zu spielen, ist leicht zu verschmerzen und lediglich eines dieser Kriterien, wonach Yoeman je nach Song und Stimmung die passende Maultrommel auswählt.

Als Yoeman Anfang der 80er Jahre in Suhl zur Schule ging und mit seinem besten Freund in das örtliche Musikgeschäft stolperte, um dort die Maultrommel zu entdecken, hätte wahrscheinlich keiner gedacht, dass ihn das Instrument so lange in seinem Leben begleiten würde. Dabei hätte der Zufall rückblickend betrachtet nicht größer sein können, denn das Musikhaus in Suhl war das einzige Geschäft in der ganzen DDR, das Maultrommeln aus der nahegelegenen Werkstatt von Friedrich Schlütter in Zella-Mehlis verkaufte. Als ihn einmal eine Zuhörerin nach dem Konzert fragte, wie seine lange Beziehung mit der Maultrommel eigentlich zu Stande kam, antwortete er: „Ich hab die Maultrommel recht viel gespielt. Für mich war das ein schöner Zugang zur Musik, ein einfacher. Irgendwann habe ich mir aus Leder eine Halterung für meine Maultrommel gebaut. Anfang der 90er Jahre stand ich dann sogar auch schon zwei-, dreimal auf der Bühne. Vor ca. zehn Jahren hab ich beim Ökotopia Festival ein bisschen Maultrommel gespielt und dort haben mich Leute gefragt, ob ich das Ancient Trance Festival kenne. Ich bin mit meiner Familie dann quasi von dem einen Festival direkt zum nächsten gefahren und komme seither zu jedem Ancient Trance“.

Dass er jetzt hier auf dieser Bank am Marktplatz von Taucha sitzt, ein aufregendes Konzert für das Ancient Trance Publikum im Rücken, lässt ihm bewusst werden, wie eng die Verbindung zu dem Festival und seinen Instrumenten in den letzten Jahren zusammengewachsen ist. Dabei hat er den Maultrommelspieler*innen ganz am Anfang nur zugeschaut, sich irgendwann aber gefragt, warum er eigentlich nicht auch selbst ein Konzert hier spielt. Die Auftritte auf Bühnen wurden häufiger – nicht nur in Taucha. Wenn er mit seiner Familie im Sommer unterwegs ist, spielt Yoeman Straßenmusik, hat eigene Songs und diese auch auf CD aufgenommen. Das Festival in Taucha ist für ihn zur Inspirationsquelle geworden. Hier hat er die atemberaubenden Beats von Aron Szilágyi und den Airtists gehört. Musik, die Einfluss genommen hat auf seine eigene Spielweise, die intuitiv schon Jahre vorher Maultrommel mit Stimme und Beatbox kombiniert hatte.

In der Uckermark ist Yoeman mit der Maultrommel oft der Exot. Manchmal trifft er in seinen Workshops auf Gruppen, da kennen von 50 Menschen nur zehn die Maultrommel. Das Besondere an diesen Momenten ist, dass sofort die Neugier von den Leuten geweckt ist. Sie fragen, „wie machst Du das?“. Die Maultrommel verbindet, macht Spass, sie entspannt. Und beim Ancient Trance Festival fühlt es sich für einen Maultrommelspieler an, als komme er nach Hause. Yoeman bemerkt, wie er die ukrainische Maultrommel immernoch fest in der Hand hält. Er setzt sie an und spielt eine kurze galoppierende Melodie mit zahlreichen Fingerstopps. – Jedes Mal, wenn er nur für sich spielt, öffnet sich ein weiter Raum und trägt ihn weg vom Ort, der Zeit und raus dem Alltag.

Webseite & CD von Yoeman: https://yoema-wuoap.jimdofree.com/reinhören/


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