Revival in Westrussland: Der russische Maultrommelprofi Aksenty Beskrovny

DAN MOI Clemens Voigt & Sven Otto GbR
Revival in Westrussland: Der russische Maultrommelprofi Aksenty Beskrovny - Revival in Westrussland. Der russische Maultrommelprofi Aksenty Beskrovny

Aksenty Beskrovny aus Moskau ist mit seinen 30 Jahren bereits einer der wichtigsten Experten, die nicht nur als Musiker, sondern auch als Forscher die russische Maultrommel in der Öffentlichkeit vertreten. Als er im Alter von 18 Jahren die Maultrommel für sich entdeckte, beschloss er sich voll und ganz auf dieses Instrument zu konzentrieren. Seither studiert er es mit seiner ganzen Aufmerksamkeit und lebt von seiner Tätigkeit als Maultrommelvirtuose: er spielt Solokonzerte, kooperiert mit internationalen Musikerinnen und Musikern, hält Vorträge und gibt Workshops. Aksenty verleiht der russischen Maultrommelkunst neue klangliche Akzente und lenkt den Fokus dabei auch auf die Maultrommel im westlichen Russland.

Briefe an Aksenty

In einigen Gebieten der russischen Föderation erfreut sich Maultrommelmusik öffentlicher Anerkennung oder wird sogar gefördert, so etwa in Sacha (Jakutien), in der Region Altai, in den Republiken Tuwa und Baschkortostan. Forschungen, Unterricht an Musikschulen und Konzerte tragen dazu bei, dass der Umgang mit dem Instrument lebendig bleibt. In den weniger maultrommelbewegten Gegenden Russlands organisiert sich die Szene selbst. So etwa in Moskau, wo seit einigen Jahren einzelne Enthusiasten versuchen der Maultrommel eine größere öffentliche Anerkennung zu verschaffen und an ihre geschichtlichen Wurzeln zu erinnern.

Um mehr über die russische Maultrommelszene herauszufinden, schrieb ich Aksenty Beskrovny und bat ihn mir über sein Leben als professioneller Maultrommler in Moskau zu berichten. Wir unterhielten uns in mehreren Briefen via Email, in denen er seinen Ansatz des Maultrommelspielens beschrieb. Ich wollte seinen persönlichen Zugang zum Instrument verstehen, der frei von einer regionalspezifischen Tradition zu sein schien.

"Книга призвуков" - "Das Buch der Obertöne"

Zunächst hörte ich einige aktuelle Stücke von Aksenty auf seiner Webseite aksenty.ru. Die einzelnen Aufnahmen gehören zum fortlaufend aktualisierten Web-Album "Книга призвуков", was man frei übersetzen könnte als "Buch der Obertöne". Die Titel heißen "Improvisationen", für jeden Track spielt Aksenty eine Maultrommel mit einem anderen Grundton. Die Maultrommeln sind von dem Schmied Sergey Pyzhov gefertigt. Aksenty schreibt mir, er habe in den vergangenen Jahren ein paar Tausend verschiedene Maultrommeln aus der ganzen Welt ausprobiert, "es waren einige wirklich sehr gute Modelle dabei. Seit 2012 spiele ich aber nur noch Instrumente von Sergey Pyzhov. Einige seiner Modelle scheinen wie für mich gemacht, auf ihnen genieße ich die Musik am meisten."

Russische Vargan von Maultrommelschmied Sergey Pyzhov

Russische Vargan aus der Werkstatt von Maultrommelschmied Sergey Pyzhov

Man hört es den Aufnahmen an: die Melodien und Verzierungen schwingen mit präzisen Konturen, sie schweben dynamisch und resonanzreich. Das "Buch der Obertöne" ist eine Studie der melodiezentrierten Maultrommelmusik, die an einigen Stellen an die norwegische Maultrommeltradition erinnert, dabei allerdings mit weniger Anschlägen auskommt: Aksenty nutzt die Schwingung der Maultrommelzunge, um auf einen Anschlag mehrere Töne zu formen, Zwischentöne und Schleifer in die Musik zu integrieren.

Aksenty Beskrovny´s Maultrommelstil ist deutlich individuell geprägt. Der Musiker lässt sich jedoch nicht nur von seiner Intuition leiten, er profitiert auch vom Austausch mit anderen Musiker_innen. In einem unserer elektronischen Briefe schreibt er mir, "als ich angefangen habe zu spielen, gab es in meiner Gegend, also in und um Moskau, kaum jemanden, der oder die mich hätte unterrichten können. Also lernte ich mir das Maultrommelspielen selbst. Ich habe viel improvisiert und mich nicht nach einer bestimmten Tradition gerichtet. Ich hab mich total in diese Art Musik zu machen verliebt und spiele bis heute überwiegend meine eigenen Improvisationen. Sehr viel Erfahrung habe ich aber auch auf Jam-Sessions mit anderen Musikerinnen und Musikern gesammelt. In den vergangenen Jahren habe ich mit hunderten Maultrommelspieler_innen aus der ganzen Welt Musik gespielt. Das ist ein ungeheuer wichtiger Erfahrungsschatz für mich. Viele dieser Menschen waren Teil einer bestimmten Maultrommeltradition oder spielten ihren ganz eigenen Stil auf der Maultrommel. Durch sie habe ich mein eigenes Konzept des Maultrommelspielens stets erweitern können."

Ein Leben als professioneller Maultrommelspieler

Etwa elf Jahre lang bereits beschäftigt sich Aksenty eingehend mit der Maultrommel. Als andere zur Universität gingen, entschied er sich für ein autodidaktisches Studium der Vargan, schreibt er, "wenn man als professioneller Maultrommelspieler arbeiten möchte, muss man alles alleine machen: man muss seine Arbeit selbst finanzieren, man muss seine Projekte selbst organisieren, Vorträge, Präsentationen und man muss sich natürlich auch darum kümmern seine Spieltechnik zu verbessern." Zweifelsfrei eine große Herausforderung in einer Stadt wie Moskau, in der die Maultrommel noch nicht besonders populär ist. Aksenty jedoch bereut seine Entscheidung nicht, "genau diese täglichen Herausforderungen empfinde ich als sehr bereichernd".

Warum es ihm gerade dieses Instrument angetan hat, führt der Improvisationskünstler darauf zurück, dass sich die Maultrommeln gravierend von allen anderen Instrumenten unterscheiden: "Die Musik entsteht in Dir, in Deinem Körper. Man verwandelt sich beim Spielen buchstäblich selbst zum Musikinstrument. Der Klang verändert sich mit jeder Bewegung deiner Muskeln. Das ist ein wundervoller Prozess: man komponiert Musik und im gleichen Moment schafft man mit seinem Körper ein einmaliges Musikinstrument. Je mehr man auf der Vargan spielt, desto mehr interagiert der Körper mit der Musik. Ich möchte gern Teil genau dieses Prozesses sein und mich wie ein Entdecker meiner eigenen Fähigkeiten fühlen."

Die Maultrommel ist unsterblich

Seinen ersten Ton auf einer Maultrommel spielte der Moskauer jedoch nicht etwa auf einer russischen Vargan, sondern auf einer Maultrommel aus Österreich von Karl Schwarz: "Ich habe versucht sie zu spielen und mir gelang es auch ein paar Töne rauszubekommen. Mir gefiel das und seither habe ich nicht mehr aufgehört Maultrommeln zu spielen." Seither spielt Aksenty Beskrovny die Maultrommel nicht nur, er erforschte sie auch: "Die Maultrommel hat eine erstaunliche Geschichte. In vielen Ländern ist sie mit einer eigenen Tradition verbunden, sie hat sogar meist eine landesspezifische Identität. Deshalb unterscheiden sich die Maultrommel-Traditionen von zwei Ländern häufig komplett voneinander. Es gibt die Instrumente in allen Epochen und auf der ganzen Welt. Meiner Meinung nach ist das möglich, weil die Maultrommel nicht nur innerhalb einer Tradition, sondern gewissermaßen auch 'außerhalb der Tradition' existiert. Lokale Gesellschaften verändern sich, verschwinden sogar manchmal, aber diese kleine, einfache Maultrommel kann einfach nicht verlorengehen. Deshalb interessiert mich die Geschichte der Instrumente so sehr. Manchmal bringe ich tagelang in einer Bibliothek zu, um ein neues Detail herauszufinden."

Aksenty Beskrovny forscht zur Geschichte der russischen Vargan

Aksenty Beskrovny forscht zur Geschichte der russischen Vargan

Auch wenn er sich dann und wann als Einzelkämpfer fühlen mag, im Laufe der Jahre hat sich eine kleine, russische Maultrommelszene formiert und dadurch wird auch Aksenty´s Hoffnung genährt, dass die Maultrommel in Westrussland in absehbarer Zeit vielleicht auch ein Revival erfahren wird – nicht zuletzt durch die kontinuierliche Arbeit von Maultrommel-Enthusiasten wie ihm. Schließlich sei ein solcher Aufschwung schon ein paar Mal gelungen, z.B. in Jakutien, wo das Maultrommelspielen noch vor ein paar Jahrzehnten kaum eine Rolle spielte und heute durch zahlreiche öffentliche Maßnahmen unterstützt und verbreitet wird, "Jakutien ist ein gutes Beispiel und eine Hoffnung für all jene, die sich eine professionelle Entwicklung von Maultrommeltraditionen auch in anderen Gegenden wünschen."


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