Wirft man einen Blick in den europäischen Museums-Katalog für Musikinstrumente MIMO, findet man unter dem Stichwort "Lamellophone" in Afrika zirka 170 Musikinstrumente verzeichnet. Dabei unterscheidet sich eins oft ziemlich deutlich vom anderen. Alle Instrumente gehören zu einer Gruppe, für die wir (die wir nicht in einem afrikanischen Land leben) landläufig den Oberbegriff "Kalimba" benutzen. Wer entwickelte aus dieser Formenvielfalt eine neue Gruppe von Instrumenten, die wir heute per Mausklick nach Hause ordern können? – Musikinstrumente, die ursprünglich in afrikanischen Ländern gespielt werden, die aber erfolgreich für das westliche Tonsystem adaptiert wurden?
Eintausendundeins Kalimbas
Im MIMO-Katalog tauchen "Kalimbas" aus insgesamt 13 verschiedenen afrikanischen Ländern auf: Angola, Malawi, Kamerun, Simbabwe, Tanzania, Nigeria, Kongo, Mozambique, Namibia, Elfenbeinküste, Ghana, Senegal und Gabun. Damit dürfte die Liste jener Länder, in denen Varianten der "Kalimbas" gespielt werden, noch immer nicht vollständig sein. Auch in Uganda, Sambia und Zaire sind die Instrumente u.a. zu finden. Wer sich auf die Suche nach weiteren Nachweisen für die originalen Kalimbas machen möchte, dem sei ein Blick ins Fotoarchiv der International Library of African Music (ILAM) empfohlen. Unter dem Stichwort "Mbira" entdeckt man fast 100 Fotos, die an den jeweiligen Ursprungsorten der Instrumente aufgenommen wurden. Oft sind auch die diversen regionalen Namen festgehalten: Mbira, Sansa oder Zanza, Likembe, Kadongo, Nsansi, Malimba, Ulimba, Ringa, Timbrh, Lulimba, Ulimba, Kakolondondo oder Madaku.
Selbst diese regionalen Begriffe, die weniger in den Grenzen eines Staates benutzt werden, als vielmehr in den Sprachen der einzelnen Völker, geben zunächst nur eine Orientierung dafür, welche Art von Instrument konkret gemeint ist. Ein Beispiel: Bei den Shona in Zimbabwe gibt es mehrere Varianten bzw. Typen der Mbira, u.a. die Mbira Dza Vadzimu, sie besitzt 22 bis 28 Metall-Lamellen und wird zu religiösen Zeremonien und Hochzeiten gespielt, weiterhin findet man die Mbira Njari und die Mbira Matepe. Seit den 1960er Jahren auch die Mbira Nyunga Nyunga wie sie von Abraham Dumisani Maraire gespielt wurde.
Der Musikethnologe Gerhard Kubik beschreibt den weit verbreiteten "Kalimba"-Typus Likembe: Diese Instrumente seien durch Handelsreisende und Wanderarbeiter aus zentralafrikanischen Gebieten (Zaire) u.a. weiter nach Angola, Zambia, Uganda und Tanzania verbreitet worden. Sie zeichnen sich durch ihren kastenförmigen Resonanzkörper aus, der auf der Rückseite im oberen Bereich ausgeschnitten ist. Der Ausschnitt ist notwendig, damit die Lamellen mit Hilfe einer eisernen Klammer durch Löcher und Draht an der Rückseite befestigt werden können. Von diesem Kalimba-Typus gibt es unzählige Varianten.
Kalimbas in der Spielzeugabteilung
Die Entwicklung einer Kalimba, die für den Gebrauch in Europa und Nordamerika attraktiv war, wird heute dem Musikethnologen und -sammler Hugh Tracey zuerkannt. Tracey lebte seit 1921 auf der Tabak-Farm seines Bruders im heutigen Zimbabwe und bereiste jahrzehntelang verschiedene Länder Süd- und Zentralafrikas. Von Anfang an interessierte sich der junge Mann aus Devonshire in England für die Sprache und Kultur der regionalen Bevölkerung, der Shona. Tracey schätze die Musik der Shona sehr und begriff sie als kulturelles Gut, das es festzuhalten galt. Das Material, das er während dieser Reisen und durch seine Tätigkeit als Sammler zusammentrug, wird bis heute in der ILAM aufbewahrt und digitalisiert. Tracey hatte die verschiedenen Kalimba-Typen in Afrika mehrere Jahre lang eingehend studiert, alles denkbare Material über sie gesammelt. Er kannte die verschiedenen Stimmungen und Bauweisen und begann schließlich selbst mit dem Bau einzelner Instrumente.
Tracey experimentierte mit unterschiedlichen Holzsorten und Größen. 1954 gründete er dann die Firma "African Musical Instruments" (AMI) und vertrieb über sie die ersten Kalimbas nach Europa und in die USA. Vorausgegangen war der Bau von über 100 Prototypen, erst danach war ein erstes genormtes Musikinstrument für den europäischen und US-amerikanischen Markt fertig. Die ersten 10.000 Kalimbas landeten dann ausgerechnet in der Spielzeugabteilung von Warenhäusern in den USA, denn sie wurden von einer Spielmittelfirma aufgekauft und vertrieben. Es ist ein Hinweis darauf, dass zunächst nicht ganz klar war, für wen die Instrumente überhaupt interessant sein könnten.
Die Kalimba wird Pop
Die Kalimba als Instrument in Europa und den USA bekannt zu machen war ein Geduldsspiel. Hugh Tracey leistete seinen Beitrag zu ihrer Verbreitung auf seinen Vortragsreisen außerhalb Afrikas. Die Musik-Revue "Wait a Minim" seiner Söhne Andrew und Paul tourte sechs Jahre lang durch Europa, Afrika und Nordamerika. Andrew Tracey erinnert sich in einem Interview mit Mark Holdaway (kalimbamagic.com) daran, wie schwer es war Interesse für die Kalimba zu wecken. Es habe schrecklich lange gedauert, bis man in England mit etwas Neuem warm wurde. Mit "Wait a Minim" habe Andrew Tracey in erster Linie Musik aus Afrika im Allgemeinen bekannt machen wollen. In der Show habe es nur ein paar Songs mit Kalimba gegeben. Das Interesse an dem Instrument reichte allerdings trotzdem so weit, dass eine britische Klavierfabrik darauf aufmerksam wurde und den Vertrieb des Instruments in Großbritannien übernahm.
Rückblickend gab es für die Kalimba dann in den 1960er Jahren einen ersten Aufschwung. Maurice White von der Band Earth, Wind and Fire spielte die Kalimba und machte sie einem größeren Publikum bekannt. Die Hugh Tracey Kalimbas etablierten sich als hybride Musikinstrumente, die Elemente aus afrikanischen Musikkulturen und gängige musikalische Standards aus Europas bzw. den USA vereinen: die für den westlichen Markt bestimmten Kalimbas wurden diatonisch gestimmt. In Thomas Mapfumo´s Musik war und ist die Mbira ein fester Bestandteil. Als er in den 1980er Jahren weltweit Aufmerksamkeit erlangte, rückte die Mbira bzw. Kalimba ein weiteres Mal in das öffentliche Blickfeld: